Rechtstatsachen im Privatrecht 33. Jahrestagung der GJZ 2023 in Nürnberg

„In der Jurisprudenz macht sich ein ‚neuer Geist‘ bemerkbar. […] Man ist der leeren Dogmatik überdrüssig geworden, alles drängt zu der lebendigen Natur, der die Quellen des Rechts entströmen.“

Mit diesen Worten leitete der Berliner Rechtswissenschaftler Arthur Nussbaum anno 1914 seine Schrift „Die Rechtstatsachenforschung“ ein und begründete damit nichts weniger als eine neue wissenschaftliche Methode in der Jurisprudenz. Unter Rechtstatsachen verstand Nussbaum all jene Tatsachen, die für die Auslegung und Anwendung des Rechts von Bedeutung sind. Die Rechtstatsachenforschung schlägt die Brücke von der normativ erfassbaren Rechtsdogmatik zur empirisch erfassbaren Rechtsrealität, indem sie empirische Befunde zur Auslegung und Fortbildung des Rechts fruchtbar macht. Methodisch bedient sie sich dabei der Instrumente empirischer Sozialforschung und ist geprägt durch ein Erkenntnisinteresse, wie es in bestimmten Bereichen der Rechtssoziologie anzutreffen ist.

Obwohl Nussbaum mit seinen progressiven Ansätzen nicht allein war – zu denken sei etwa an die nahezu gleichzeitig durch Eugen Ehrlich in Wien begründete Rechtssoziologie –, reagierte die wissenschaftliche Gemeinschaft die neue Methodik verhalten, was sicherlich nicht nur auf Nussbaums erzwungene Übersiedlung in die USA, sondern auch die mangelnde Ausbildung des deutschsprachigen Juristen in den Methoden empirischer Sozialforschung und den mit der Durchführung empirischer Studien verbundenen Kosten und Risiken zurückzuführen ist. Auch 100 Jahre nach dem Erscheinen der grundlegenden Schrift nimmt die Rechtstatsachenforschung im deutschsprachigen Raum noch eine untergeordnete Rolle ein, während sich die Rechtswissenschaft ganz überwiegend in der überkommenen Dogmatik eingerichtet hat.

Dieser bisher untergeordneten Bedeutung nimmt sich die 33. Jahrestagung der Gesellschaft Junge Zivilrechtswissenschaft (GJZ) an und möchte ergründen, welche Funktion die Rechtstatsachenforschung mit ihrem empirischen Ansatz in dem Konzert der Zivilrechtswissenschaft einnehmen kann. Dabei soll keineswegs ein feindliches Verhältnis zwischen Rechtsdogmatik und Rechtstatsachenforschung unterstellt, sondern vielmehr aufgezeigt werden, dass beide Disziplinen nicht etwa in Widerspruch geraten, sondern vielmehr zum Fortschritt der Rechtswissenschaft „Hand in Hand“ zu gehen vermögen. Die gegenwärtig geplanten Themenschwerpunkte der Tagung stehen unter folgenden Leitfragen:

  1. Wie können Rechtstatsachenforschung und verwandte empirische Forschungsansätze (z.B. Rechtssoziologie, event studies) für die „klassische“ Rechtsdogmatik fruchtbar gemacht werden (besondere Einzelfragen, aber auch allgemeine methodische Fragen nach der Einfügung empirischer Arbeit in den überkommenen juristischen Methodenkanon)?
  2. Wie können sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden bei der juristischen Entscheidungsfindung berücksichtigt werden (insb. in prozessualer Hinsicht)?
  3. Inwiefern finden Rechtstatsachen bei legislativen Prozessen bereits Berücksichtigung und inwiefern werden gesetzgeberische Ziele durch bestehendes Recht auch tatsächlich erreicht (rechtspolitische Aspekte)?
  4. Inwiefern können Instrumente der Digitalisierung die Arbeit mit empirischen Daten im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess positiv beeinflussen (Verbindungen zur Informatik)?

Die 33. Jahrestagung der GJZ wird vom 13. bis 16. September 2023 an der Friedrich-Alexander-Universität in Nürnberg stattfinden und richtet sich an alle interessierten Nachwuchswissenschaftler aus dem In- und Ausland. Das Organisationsteam besteht gegenwärtig (in alphabetischer Reihenfolge der Nachnamen) aus David Bartlitz, Florian Eckert, Franziska Kurz, David Lang, Dominik Meier und Josephine Odrig. Weitere Informationen zur Tagung (insb. alsbald auch Anmeldemöglichkeiten) finden sich auf der Tagungswebsite: https://www.gjz.fau.de.

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Zitiervorschlag
Bartlitz, Rechtstatsachen im Privatrecht, RECHTS|EMPIRIE, 06.01.2023, DOI: 10.25527/re.2023.01