Empiristische Konversionen Online-Symposium »Empirische Wende«

Vor zehn Jahren veröffentlichte Niels Petersen einen Beitrag zur Frage, ob die Rechtswissenschaft eine »empirische Wende« brauche. Der Text provozierte vielfältige Reaktionen, darunter eine scharf formulierte Replik von Ino Augsberg gegen den »neuerdings erhobenen empiristischen Ton in der Rechtswissenschaft«. Zehn Jahre später greift ein R|E Online-Symposium die Debatte noch einmal auf: Sind wir heute klüger? Haben die Zeitläufte einer Seite Recht gegeben? Oder war es am Ende ein Streit, der sich an Begrifflichkeiten entzündete, gar ein Missverständnis? Die Initiatoren der Debatte und weitere Autoren beziehen zu diesen Fragen Stellung. (Red.)

Der Dogmatismus der Denkungsart im Wissen und im Studium der Philosophie ist nichts anderes als die Meinung, daß das Wahre in einem Satze, der ein festes Resultat ist oder auch der unmittelbar gewußt wird, bestehe. Auf solche Fragen: wann Cäsar geboren worden, wie viele Toisen ein Stadium betrug usf., soll eine nette Antwort gegeben werden… Aber die Natur einer solchen sogenannten Wahrheit ist verschieden von der Natur philosophischer Wahrheiten

Georg Wilhelm Friedrich Hegel

 

Amplia, etiam veritas inducta a lege, prout est res iudicata, quae vere et cum effectu pro veritate habetur, attendenda est et praevalet

                                               Domenico Toschi

 

1 Die Forderung nach einer „empirischen Wende“ der Rechtswissenschaft betrifft die kognitive Dimension des Rechts und ist im Rahmen einer epistemologischen Bestimmung des juridischen Wissens näher zu erörtern.

Solange die Vorstellung vorherrschen konnte, dass Normen ex ante festlegen könnten, welches Verhalten von ihren Adressaten erwartet werden dürfe, stellte sich die Frage nach wissensförmigen Elementen des Rechts selten. Erst die Spezialisierung des Wissens, das Aufkommen neuer Technologien, die Unmöglichkeit eines Rückgriffs auf „distribuierte Erfahrung“ sowie die daraus resultierenden Fragen des Umgangs mit Ungewissheit und Nichtwissen, rückte auch das Interesse der Rechtswissenschaft an den „kognitiven Infrastrukturen des Rechts“, d. i. an der eigentümlichen Verschleifung rechtlicher Normativität mit der ihr inhärenten sozialen Epistemologie in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchung 1 In der Sache liegt das zunehmende Interesse in der Beobachtung (die nebenbei gesagt zu einer allgemeinen „Institutionalisierung reflexiver Mechanismen in allen funktional spezifischen Teilbereichen“2der Gesellschaft geführt hat) begründet: Weil keine eine allgemeine Rationalität verbürgende Metainstanz mehr angenommen werden kann, die gesellschaftliches Wissen in ein die Operation des Rechts bestimmendes Verhältnis zu setzen in der Lage wäre, muss das Recht selbst für sich den Prozess der Wissenserfassung genauer festlegen. Vor diesem Hintergrund müsste die Einbeziehung eines durch die Methoden der empirischen Sozialforschung gewonnen Wissens im Rahmen dieses Prozesses näher bestimmt werden. Dies wäre eine erste „spürbare Konsequenz“, die aus den Lehren des – keineswegs nur „postmodernen“ – Konstruktivismus hätten gezogen werden können.

 

2 Der „erhobene empiristische Ton“, der mit der Forderung nach einer empirischen Wende der Rechtswissenschaft einhergeht, rührt nämlich keineswegs aus der Vorstellung, dass das Recht, als eine vermeintlich bloße Sollensordnung nicht – oder jedenfalls nicht um den Preis, seine Positivität und seine Autonomie aufgeben zu müssen – dazu in der Lage sei, als Teil einer lebensweltlichen Realität begriffen zu werden – ohne damit zugleich als Spielball bestimmter Macht- und Interessenrelationen instrumentalisiert zu werden –, folglich es auch kühn und kurzsichtig wäre, die Rechtswissenschaft aus ihrem, die Autonomie des Rechts verbürgenden, dogmatischen Schlummer wecken zu wollen, sondern vielmehr daher, dass die empirische Sozialforschung, obgleich sie um die Konstruktion ihrer Erkenntnisgegenstände weiß (oder jedenfalls wissen könnte), durch eine methodische Exaktheit eine Objektivität prätendiert, die sie, eingedenk einer angemessenen Reflexion der eigenen epistemologischen Grundlagen, nicht halten kann – diese Wissensform aber als die einzig legitime gelten zu lassen beabsichtigt.

Von der Umschreibung einer näheren Untersuchung, der Definition der hierfür relevanten Variablen, über eine Bestimmung der anzuwendenden Konzepte, der Operationalisierung der konkreten Untersuchung bis hin zur Re-Relationierung der Ergebnisse –  stets ist das Wissen, das im Rahmen einer empirischen Untersuchung produziert wird, das Produkt einer spezifischen Versuchsanordnung, eines mehr oder weniger ideal isolierten Systems, das selbst durch spezifische Vorannahmen, Denkgewohnheiten, Methodenwahl usw. moduliert wird. Mit anderen Worten: Auch die empirische Sozialforschung ist theoriegeleitet und setzt eine unbegriffliche Latenz, d. i. Metaphysik voraus.

Auf diese Metaphysik, die bereits den (einfachen) Empirismus wesentlich bestimmt hatte und die noch heute teilweise in die methodologischen Annahmen gewisser Wissensgenerierungsprozesse verquickt zu sein scheint, sei knapp hingewiesen.

 

3 Der Empirismus ging davon aus, dass Perzeption (Eindruck oder Vorstellung eines Datums, „bar jeglicher subjektiven Form der Rezeption“) gegeben sei („Lehre von der bloßen Sinneswahrnehmung“)3und postulierte, dass „das Wahre“, anstatt es in einer dogmatischen Metaphysik oder einer Ordnung im Sinne der mittelalterlichen Scholastik zu suchen, vielmehr aus der Analyse jener Perzeptionen, d. i. aus „Erfahrung der äußeren und inneren Gegenwart, zu holen“ sei.4Die Prinzipien der Natur, seien sie durch einen Schöpfer auferlegt oder der Natur immanent, erschlössen sich allein durch die Beobachtung der Natur und nicht durch eine Deduktion aus einer vorgegebenen Rationalität. Damit war das Referenzobjekt des Empirismus das Gegebene, das in letzter Konsequenz als „eine Abfolge von augenblicklichen Konfigurationen der Materie“5begriffen wurde und je nach Art der Wahrnehmung seine Bestimmung, d. i. eine spezifische Form erhielt. Eine solche Denkausrichtung warf jedoch einen Schatten, den der Empirismus, jedenfalls ein solcher, der diesen Ausgangspunkt eines „sensualistischen Prinzips“ teilte und keine die Sinneseindrücke leitende und der Erfahrung äußerliche, sie überfliegende, Gesetzmäßigkeit gelten ließ, nicht mehr einholen konnte: Die Unmöglichkeit der Bestimmung einer aus den einzelnen Sinnesdaten induzierten Allgemeinheit und einer in der sukzessiven Abfolge der Sinneswahrnehmung bestehenden Verbindung.6 (Damit sei aber nur das daraus resultierende Problem eines solchen Empirismus benannt, der davon ausging, dass „äußere Gegenstände uns nur durch die Perzeptionen, die sie veranlassen, bekannt“ seien – wobei das Problem weniger in der Tatsache der Erfahrungsabhängigkeit allen Erkenntnisprozesses lag, sondern vielmehr in der Vorstellung einer einfachen Lokalisierung.7 Und als eine diesen Pfad bestreitende Denkausrichtung zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis gelangen konnte, wurde schließlich die Epistemologie gänzlich von der Ontologie geschieden, sodass in der Folge Unterscheidungen getroffen werden konnten, die zwei disparate Register postulierten (etwa Natur und Kultur, Welt und Sprache, Norm und Faktizität usw.) und ihnen entweder je eigentümliche Operationsweisen zugesprochen wurden, sodass von der Warte des einen aus keine Aussagen über das andere Register getroffen werden konnten, oder jenes wurde als der Repulsionswert des anderen aufgefasst und fiel mit ihm, gleichsam als dessen Imago, zusammen. (All das findet im Rahmen der Wissenschaft einen Nachklang in der Vorstellung einer kategorialen Scheidung von Theorie und Praxis, insofern man die Theorie als die Reflexion einer – per definitionem dann opak bleibenden – Praxis versteht).8

Die Methode der empirischen Sozialforschung bleibt im Bannkreis einer solchen Metaphysik.

 

4 Die empirische Sozialforschung weiß zwar um die Notwendigkeit der Definition ihrer Untersuchungsobjekte, geht zuweilen aber davon aus, dass andere Objekte, nämlich solche, die nicht Gegenstand der jeweiligen Untersuchung werden, unmittelbar gegeben und nicht ebenfalls als Produkt eines Wissensgenerierungsprozesses vermittelt sind. Freilich ist diese Art der Wissensproduktion auf ein solches Vorgehen angewiesen, sie kann nicht zugleich alles in Frage stellen, sondern muss vor dem Hintergrund eines bestehenden, unmittelbaren Wissens agieren und gewisse Konstanten als gegeben hinnehmen. Aber solche empirischen Gegebenheiten, die nicht zum Gegenstand der Untersuchung werden, sind ihrerseits das Produkt eines operativen Gefüges und dürfen nur als „trial facts“9 im Rahmen einer neuerlichen Untersuchung zur Geltung kommen. Ihre Funktion als unmittelbares Wissen erfüllt sich darin, der Untersuchung einerseits einen konkreten Inhalt und einen festen Halt zu geben10, andererseits die Wahrheit des so ermittelten Wissens verbürgen zu können.11 Auch die De- und Re-Relationierung eines empirisch „gegebenen“ Objekts mit anderen Objekten lässt erkennen, dass die Fakten, die aus einem Durchlauf einer solchen Anordnung entspringen, nicht a priori gegeben sind, gleichsam nur noch entdeckt werden müssten, sondern dass sie jenseits eines sie konstruierenden Relationierung in einem Gefüge von Institutionen und Praktiken keinen Bestand haben könnten12: Das Untersuchungsobjekt zirkuliert durch eine „Kaskade [von] Transformationen“, sodass die Erkenntnisgenerierung stets lokal erfolgt, dergleichen, dass in einer prozessualen „Dialektik von Gewinn und Verlust“13 eine Reduktion des Untersuchungsgegenstands vorgenommen werden muss, auf die eine Amplifikation folgt, sodass im gewissen Sinne „eine Intensifikation, eine Erhöhung des Vermögens, ein Wachstum an Dimensionen, [ein] Gewinn an Unterscheidung“14stattfinden kann – ein Prozess an dessen Ende das wissenschaftliche Faktum als ein Glied eines komplexen Gefüges steht.

Das Problem besteht also nicht darin, ob die ermittelten Fakten ursprünglich gegeben oder konstruiert sind, sondern zunächst, wie bereits erwähnt, darin, dass die empirische Sozialforschung deren Unumstößlichkeit prätendiert. Vor diesem Hintergrund ist das Eingeständnis begrüßenswert, dass „empirische Rechtsforschung“ oder gar „realwissenschaftlich betriebene Rechtswissenschaft“ nur „konditionale Empfehlungen … auf der Basis einer als angestrebt unterstellten Zielsetzung“ abgeben könne15 – auch wenn die Begründung, nämlich, dass die Rechtswissenschaft, um der Präsupposition von „Sein“ und „Sollen“ entsprechen zu können, als eine bloße Normwissenschaft zu begreifen sei, eine Wunschvorstellung ist16, die jedoch offensichtlich (positive) Effekte zeitigt.

Daneben muss jedoch die Tatsache Beachtung finden, dass durch eine der empirischen Forschung spezifische Methode nur eine bestimmte Art des Wissens generiert werden kann – etwa, weil die epistemologischen Grundlagen einer empirischen Überprüfung einer Hypothese die Übersetzungsmöglichkeit derselben in die der Untersuchung zur Verfügung stehenden Mittel voraussetzen oder weil das Induktionsproblem, auch wenn die Induktion durch ein statistisches Schließen ersetzt wird, nicht ihren subjektiven Charakter verliert und damit grundsätzlich bestehen bleibt.17

In all dem ist aber keine Schwäche der empirischen Forschung zu sehen, da das so ermittelte Wissen prekär bliebe, weil es nicht endgültig sei. Gerad diese Vorläufigkeit, jenseits eines Anspruchs, absolute Aussagen treffen zu wollen oder soziale Gesetze finden zu können, zeigt ihre Stärke, denn sie entspricht einer Welt, die selbst kein starres Gebilde darstellt, sondern in einem steten Wandel begriffen ist. Zur Methodenehrlichkeit der empirischen Rechtsforschung gehörte dann, diesen Perspektivismus einzugestehen. Das besagt aber weder, dass die durch die empirische Methode gewonnenen Ergebnisse nicht das Produkt einer Induktion seien, weil sie eigentlich in der Versuchsanordnung bereits inhärierten, noch dass das so produzierte Wissen subjektiv und beliebig sei. „Der wissenschaftliche Perspektivismus oder Subjektivismus ist niemals relativ zu einem Subjekt: Er bildet keine Relativität des Wahren, sondern im Gegenteil eine Wahrheit des Relativen, das heißt der Variablen, deren Fälle er nach den Werten ordnet, die er in seinem Koordinatensystem aus ihnen herausholt (so etwa die Ordnung der Kegelformen nach den Schnitten des Kegels, dessen Spitze vom Auge besetzt wird).“18

 

5 Zugegeben: „Der Rückgriff auf die Metaphysik ist wie das Entzünden eines Pulverfasses. Es sprengt die gesamte Arena in die Luft.“19

Doch soll das Eingeständnis einer notwendigen theoretischen Präfiguration, die auch die Protagonisten einer empirischen Forschung zuzugeben pflegen, mehr als nur Lippenbekenntnis oder eine rhetorische Phrase sein20 und wollen wir anerkennen, dass wissenschaftliche Fakten das Produkt einer historischen Formation sind, ihre Existenz ein sie konstituierendes spezifisches Gefüge voraussetzt, sie aber deshalb in keiner Weise ihre Realität und Wahrheit einbüßen, müssen wir die Auseinandersetzung auf einer Ebene betreiben, in der wir die Aufteilung des Empirischen und des Transzendentalen voraussetzen (Immanenzebene oder transzendentales Feld21) und auch im Rahmen einer empirischen Rechtsforschung nach der Legitimität ihrer für diese Forschung eigentümlichen Verteilung fragen können.


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  1. Vgl. nur Karl-Heinz Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, Berlin 1995; ders., Recht – Wissen – Kultur. Die fragmentierte Ordnung, Berlin 2016 S. 37 ff.; Hans-Heinrich Trute, Wissen – Einleitende Bemerkungen, in: Röhl (Hrsg.), Wissen – Zur kognitiven Dimension des Rechts, Berlin 2010, S. 11 ff.; Thomas Vesting, Die Bedeutung von Information und Kommunikation für die verwaltungsrechtliche Systembildung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, Informationsordnung, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012, § 20 Rn. 1 ff.; Ino Augsberg (Hrsg.), Extrajuridisches Wissen im Verwaltungsrecht. Analysen und Perspektiven, Tübingen 2013; Ino Augsberg, Informationsverwaltungsrecht, Tübingen 2014. Und mit Bezug auf aktuelle Fragestellungen etwa Roland Broemel/Hans-Heinrich Trute, Alles nur Datenschutz? Zur rechtlichen Regulierung algorithmusbasierter Wissensgenerierung, Berliner Debatte Initial 27 (2016) S. 50 ff.; Karl-Heinz Ladeur, Die Pandemie Covid-19 als Wende zu einem neuen Paradigma des Verwaltungshandelns? Auf dem Weg zum datenbasierten Verwaltungsakt!, i. E..
  2. So Peter Weingart und Holger Schwechheimer, in: Weingart/Carrier/Krohn, Nachrichten aus der Wissensgesellschaft, Weilerwist 2007, S. 38 mit der Folge, dass „Erfahrungen nicht mehr passiv ‚gemacht‘ und verarbeitet werden, sondern prospektiv durch ‚forschendes‘ Verhalten gesucht und in Gestalt systematischer Variationen gewählt und reflektiert werden. Gesellschaftliche Innovation in allen Funktionsbereichen geraten zunehmend unter den Imperativ des durch ,aktive‘ Erfahrung gesteuerten Lernens: Um strategisch handeln zu können, wird die Zukunft durch hypothetische Entwürfe, Simulationen und Modelle vorweggenommen, die Ursachen für Abweichungen tatsächlicher Ereignisse von erwarteten werden systematisch erforscht, die dabei produzierten Daten werden gespeichert und weiterverarbeitet, d. h. in den Prozess zurückgegeben“.
  3. Alfred North Whitehead, Prozess und Realität, Frankfurt a. M. 1987, S 295.
  4. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Erster Teil. Die Wissenschaft der Logik. Mit den mündlichen Zusätzen, Frankfurt am Main 2017, S 107 (§ 37).
  5. „… oder des Materials, wenn man auch feineren Stoff als die gewöhnliche Materie, wie etwa den Äther , mit einbeziehen will.“, Whitehead, Wissenschaft und moderne Welt, Frankfurt a. M. 1987, S. 65.
  6. Hegel, Enzyklopädie I, S. 111 (§ 39); Whitehead, Wissenschaft und moderne Welt, S. 66 f.
  7. Whitehead, Wissenschaft und moderne Welt, S. 64 ff. Und an anderer Stelle zur Konsequenz einer solchen Vorstellung, die die moderne Wissenschaft prägenden wird (Bifurkation der Natur): „Somit stellt die Materie die Weigerung dar, räumliche und zeitliche Charakteristika fortzudenken, um beim schieren Begriff einer individuellen Entität anzulangen. Es ist diese Weigerung, die für den ‚Mischmasch‘ des Hineintragens der bloßen Denkprozedur in das Faktum der Natur verantwortlich ist. Die Entität hat, aller Charakteristika außer denen von Raum und Zeit entblößt, einen physikalischen Status als elementares Naturgewebe angenommen, mit der Folge, daß der Naturverlauf als Schicksal der Materie auf ihrem Abenteuer durch Raum und Zeit aufgefaßt wird.“ Alfred North Whitehead, Der Begriff der Natur, Weinheim 1990, S. 19.
  8. Trotz all dem darf der Empirismus auf das oben genannte nicht reduziert werden. „Das ist die Perspektive der Philosophiegeschichte…“ So Gilles Deleuze, in: ders./Claire Parnet, Dialoge, Berlin 2019, S. 80. Die Empiristen waren große Experimentatoren und vollführten ein regelrechtes Abenteuer des Denkens. „Worauf sie stießen, war beileibe nicht die Frage: ‚Stammt das Intelligible vom Sinnlichen ab?‘, sondern vielmehr jene ganz andere nach den Relationen. Die Relationen sind ihren Gliedern äußerlich… die Relation ist weder einem der Glieder, das dann Subjekt wäre, inhärent, noch beiden gemeinsam. Mehr noch, eine Relation kann sich verändern, ohne dass sich deren Glieder verändern.“, ders., a. a. O., S. 82).
  9. John Dewey, Logik. Die Theorie der Forschung, Frankfurt a. M. 2002, S. 142; Vgl. auch Deweys Überlegungen zur Logik und insbes. zur Tatsachenbestimmung in der Sozialforschung, ders., a. a. O., S. 560-588.
  10. Vgl. dazu Hegel, Enzyklopädie I, S. 106-112 (§ 37 ff.).
  11. Vgl. dazu anschaulich Isabelle Stengers, Die Wissenschaft unter dem Zeichen des Ereignisses, in: dies., Die Erfindung der modernen Wissenschaften, Frankfurt a. M./New York 1992, S. 110-134.
  12. Vgl. dazu exemplarisch Mary Poovey, A History of the Modern Fact: Problems of Knowledge in the Sciences of Wealth and Society, Chicago 1999.
  13. Bruno Latour, Zirkulierende Referenz. Bodenproben aus dem Urwald am Amazonas, In: ders., Die Hoffnung der Pandora: Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft, Frankfurt a.M., 2000, S. S. 86.
  14. Gilles Deleuze, Die Falte: Leibniz und der Barock, Frankfurt a.M., 2000, S. 123.
  15. So Horst Eidenmüller, Rechtswissenschaft als Realwissenschaft, in: JZ 1999, S. 53 ff. (55); Ohne den Passus einer „realwissenschaftlich betriebenen Rechtswissenschaft“ wörtlich auch Hanjo Hamann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, Tübingen 2014, S. 15 m. w. N.
  16. Vgl. dazu nur Ino Augsberg, Die Normalität der Normativität, in: JZ 2020, S. 425 ff.
  17. Vgl. nur John Maynard Keynes, Über Wahrscheinlichkeit, Leipzig 1926, S. 14-29, darin insbes. seine Kritik an der frequentistischen Statistik. Für einen Überblick der zur Auswertung quantitativer Daten zur Anwendung kommenden Methoden im Rahmen empirischer Sozialforschung vgl. etwa Hanjo Hamann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, S. 73-88.
  18. So Gilles Deleuze/Felix Guattari, Was ist Philosophie?, Frankfurt a. M. 2000, S. 151.
  19. Whitehead, Der Begriff der Natur, Weinheim 1990, S. 25.
  20. Vgl. dazu und auch im Übrigen sehr instruktiv Ino Augsberg, Verwaltung und Empirie, in: Kahl/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I: Grundstrukturen des deutschen Verwaltungsrechts, i. E. Zum Theorieverzicht bemerkt Luhmann: „Sie [gemeint ist die empirische Sozialforschung, MK] löst durch ihre Erhebungsinstrumente die gesellschaftlich geläufige Welt in Daten auf (zum Beispiel: Antworten in Fragebogen oder Interviews) und sucht dann nach Beziehungen zwischen den Daten. Theoretisch sollten diese Beziehungen durch eine Theorie prognostiziert werden und diese dann verifizieren oder falsifizieren. Praktisch treten oft komplizierte Auswertungsverfahren an die Stelle einer solchen Theorie, und man sucht dann nachträglich anhand der Ergebnisse heraus, welche Zusammenhänge sinnvoll interpretierbar sind und wie hoch die Schwelle statistischer Signifikanz ist, die man als noch bemerkenswert beachtet. In gewisser Weise gleicht dieses Verfahren einem Spiel mit dem Zufall, und mit einem Gemisch von Geschick und Glück führt die Forschung dann zu Resultaten, die weitere Forschung anregen oder entmutigen können.“, Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1992, S. 369 f.
  21. Vgl. dazu Gilles Deleuze, Die Immanenz: Ein Leben…, in: ders., Schizophrenie und Gesellschaft: Texte und Gespräche von 1975 bis 1995, Frankfurt. a. M. 2005, S. 365-370 sowie ders./Felix Guattari , Was ist Philosophie?, S. 42-69, der diesen Konzept insbes. unter Rückgriff auf William James (stream of consciousness) und Jean-Paul Sartre (champ transcendantal sans sujet) entwickelt.
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Zitiervorschlag
Koshan, Empiristische Konversionen, RECHTS|EMPIRIE, 08.02.2021, DOI: 10.25527/re.2021.02