Kontinuität am Bundesverfassungsgericht? Wie die Öffentlichkeit Voßkuhles und Masings Nachfolger bewertet

Die Wahl zur Nachfolge der Richter des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle und Johannes Masing steht bevor. Zum wiederholten Male ist die Wahl überfällig, da Masings Amtszeit offiziell bereits Ende April endete und Voßkuhles am 6. Mai. Schon in der Vergangenheit kam es zu Verzögerung; etwa bei den Wahlen von Herbert Landau und Hans-Jürgen Papier. Diese Verzögerungen sind nicht gerade förderlich für das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts und scheinen der Natur der Wahl geschuldet, die oft politisch geführte Debatten fördert. In diesen Debatten geht die Frage, welche Eigenschaften die Öffentlichkeit an Verfassungsrichterinnen und -richtern schätzt, unter. Dass das Bundesverfassungsgericht äußerst hohes Vertrauen genießt, ist bekannt. Dieses hängt letztlich aber auch davon ab, welches Bild die Öffentlichkeit von den Verfassungsrichterinnen und -richtern hat. Dieses Bild setzt sich zum einen aus Eigenschaften zusammen, die eine Richterin oder ein Richter mit ans Gericht bringt, und zum anderen aus Faktoren, die den richterlichen Auswahlprozess leiten. Werden etwa auf Dauer Richterinnen und Richter an das Bundesverfassungsgericht berufen, die Eigenschaften besitzen, die in den Augen der Öffentlichkeit als ungeeignet erscheinen, schadet das der hohen gerichtlichen Reputation und dem Vertrauen. Genau so können aus unserer Sicht auch politische Querelen um die Besetzung des Gerichts dem Vertrauen schaden. Wir möchten in diesem Beitrag beleuchten, wie eine repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung die Profile der aktuellen Kandidierenden bewertet.

Mit der generellen Wahrnehmung von Verfassungsrichterinnen und -richtern haben wir uns anderswo bereits beschäftigt. Wir verknüpften eine – für die deutsche Bevölkerung repräsentative – Umfrage mit einem Experiment und ließen Befragte zwischen Profilen von fiktiven Kandidierenden wählen. Die Profile wiesen zufällig ausgewählte Eigenschaften im Hinblick auf den ausgeübten Beruf, die Partei, die einen Kandidierenden nominiert, die Herkunft, das Alter, das Geschlecht, den Familienstand, sowie das Auswahlgremium von Kandidierenden auf. Wir nehmen an, dass die genannten Kriterien bei der Richterwahl besonders von Bedeutung sind, auch wenn sicherlich noch weitere Kriterien interessant erscheinen. Das Design unserer Studie erlaubte es uns, im Nachhinein zu ermitteln, welche Bedeutung die Befragten einzelnen Eigenschaften in Bezug auf die genannten Kriterien zuweisen.

Es zeigt sich: Der Wunschkandidat bzw. die -kandidatin der Bevölkerung ist eine verheiratete, um die 55 Jahre alte Bundesrichterin aus Westdeutschland, die von keiner speziellen Partei nominiert wurde und vom Richterwahlausschuss des Bundestags gewählt wird. Treffen wir nun die Annahme, dass wir mit diesen Charakteristiken mögliche Kandidatinnen und Kandidaten vollständig beschreiben können, dann treffen diese Eigenschaften am ehesten auf das Profil von Monika Hermanns zu. Stephan Harbarth wurde in der Öffentlichkeit immer überwiegend als Berufspolitiker dargestellt, dies schadet seinem Profil laut unserer Studie. Die Öffentlichkeit bewertet Verfassungsrichterinnen und -richter, die zuvor Politiker waren, recht negativ – noch negativer etwa als Universitätsprofessorinnen und -professoren. Dennoch bleibt die ideale Richterin eine Wunschvorstellung. Die Ergebnisse unserer Studie erlauben aber den Vergleich zwischen den Eigenschaften der Richterprofile der ausscheidenden Richter und den gehandelten Kandidierenden. Wie bewerten die Bürgerinnen und Bürger die Profile?

Mit Andreas Voßkuhle verlässt ein äußerst aktiver Präsident das Bundesverfassungsgericht und auch für Johannes Masing wird eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gesucht. Während die Grünen sich in der Nachfolge von Voßkuhle bereits auf die Rechtsprofessorin Astrid Wallrabenstein geeinigt haben, tut sich die SPD bei der Suche von Masings möglicher Nachfolge schwer: Im Gespräch sind der Präsident des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz, Lars Brocker, der Rechtsprofessor Martin Eifert, sowie Jes Möller, der zuletzt Präsident des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg war.

In der folgenden Abbildung vergleichen wir das Profil von Andreas Voßkuhle zu dem von Rechtsprofessorin Astrid Wallrabenstein. Das am wenigsten beliebte Profil von Stephan Harbarth und das populäre Profil von Monika Hermanns ergänzen wir als Referenzpunkte.

Es zeigt sich: Im Mittel scheint das Profil, das Wallrabenstein mitbringt, um 1 Prozentpunkt beliebter als das von Voßkuhle. Allerdings weist jede Schätzung Unsicherheiten auf, die wir durch die Balken darstellen. Da die Balken von Wallrabenstein über die gestrichelte Linie reichen ist die Beliebtheit ihres Profils mit dem Profil von Voßkuhle gleichzusetzen. Kurzum: Die Eigenschaften, die Astrid Wallrabenstein mit ans Gericht bringt, sind in den Augen der Öffentlichkeit ähnlich beliebt wie jene, die Andreas Voßkuhle einst mitbrachte. Ihr Profil ist deutlich populärer als das von Stephan Harbarth, aber weniger populär als das von Monika Hermanns.

Wie erklärt sich dieser Unterschied? Laut den Ergebnissen unserer Studie fallen zwei Kriterien besonders ins Gewicht. Zum einen der Beruf, den eine Richterin oder ein Richter unmittelbar vor der Berufung ans Bundesverfassungsgericht ausübte, und zum anderen die Ausrichtung der Partei, die einen Kandidierenden nominiert. Stephan Harbarth hatte als Berufspolitiker in den Augen der Öffentlichkeit den unbeliebtesten Beruf, wohingegen Monika Hermanns als ehemalige Bundesrichterin den populärsten Beruf besaß. Andreas Voßkuhle und seine Nachfolgerin ordnen sich als Rechtswissenschaftler – wie auch die Abbildung zeigt – dazwischen ein. Monika Hermanns scheint auch deshalb einen Vorsprung zu haben, da sie durch die SPD nominiert wurde, was die Öffentlichkeit etwas mehr schätzt als Nominierungen durch andere Parteien. Andreas Voßkuhle wurde zwar auch durch die SPD nominiert, doch wie wir bereits erwähnten, hat das Profil von Monika Hermanns auch einen Vorsprung, da Frauen in den Augen der Öffentlichkeit generell populärer sind. Dadurch kann Astrid Wallrabenstein auch ausgleichen, dass sie von den Grünen nominiert wird.

Die SPD kann sich in der Masing Nachfolge bisher nicht zwischen Lars Brocker, Martin Eifert und Jes Möller entscheiden. Sie ließ die Wahl deswegen sogar verschieben und erst am vergangenen Sonntag stellten sich alle Kandidierenden in einer internen Videokonferenz der SPD vor. Wie schneiden die Profile der drei Kandidierenden im Vergleich zum Profil von Masing ab? Die folgende Abbildung zeigt, dass die Beliebtheit der Profile von Eifert und Möller nicht signifikant unterschiedlich zur Beliebtheit des Profils von Masing ist. Allerdings würde Brockers Profil bei einer Auswahl durch die Öffentlichkeit knapp das Rennen machen. Das Profil des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz ist im Mittel rund drei Prozentpunkte beliebter als das von Masing.

Warum liegt Brocker vorn? Eifert ist Rechtsprofessor und nicht Berufsrichter, was sich wie erwähnt, nicht überzeugend auf die Beliebtheit seines Profils auswirkt. Möller fällt im Mittel aber noch weiter hinter Brocker zurück als Eifert, und dass obwohl er als ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg Berufsjurist ist. Dass Möller Ostdeutscher ist, fällt laut unserer Studie nicht signifikant ins Gewicht, wohl aber sein Alter. Er ist der Älteste der aktuell diskutieren Kandidierenden. Profile mit einem Alter um die sechzig Jahre erachten die Befragten in unserer Studie als negativ; Brocker hingegen fällt mit Anfang 50 in eine Altersgruppe, die Befragte bevorzugen. Im Vergleich aller möglichen Nachfolger von Masing fällt die auswählende Partei nicht ins Gewicht. Masing wurde und sein Nachfolger wird durch die SPD vorgeschlagen. Ähnlich wie bei Andreas Voßkuhle und Astrid Wallrabenstein zeigt sich, dass auch die Masing-Nachfolger vergleichbar populäre Profile haben wie der zu ersetzende Richter. Ebenso ordnet sich Masings Profil und das der Kandidierenden zwischen den Profilen von Stephan Harbarth und Monika Hermanns ein.

Was zeigt der Vergleich der Eigenschaften der politisch ausgesuchten Kandidierenden zu den Eigenschaften, die sich eine repräsentative Stichprobe von Bürgerinnen und Bürgern bei möglichen Bundesverfassungsrichtern wünscht?

Die Profile aller diskutierten Kandidierenden sind bei den Bürgerinnen und Bürgern ähnlich beliebt wie die ihrer Vorgänger. Sollte es Anspruch sein, einen Vorgänger passend zu ersetzten, so hätten die Parteien dieses Ziel erreicht. Ausschließlich das Profil von Brocker wäre ein wenig beliebter als das von Massing. Insgesamt heißt die Devise aber Kontinuität.

Im Gesamtkontext betrachtet sind die Profile der Kandidierenden bei den Bürgerinnen und Bürgern durchschnittlich beliebt. Sie ordnen sich zwischen dem unbeliebten Profil von Stephan Harbarth und dem beliebten Profil von Monika Hermanns ein. Folglich scheinen überraschende Änderungen im Vertrauen in das Gericht — zumindestens auf Grund seiner Besetzung — vorerst ausgeschlossen.

Schlussendlich zeigen die Profile der Berufsjuristen Brocker und Hermanns einmal mehr: Berufsjuristen mittleren Alters haben in der öffentlichen Anerkennung einen Vorsprung. Anstatt einer politischen Debatte sollten die Parteien stets auch die berufs-juristischen Qualitäten von Kandidierenden in die Öffentlichkeit tragen. Das könnte die positive Wahrnehmung der entsprechenden Kandidatinnen und Kandidaten und letztlich des Verfassungsgerichts als Ganzes weiter stärken.

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Zitiervorschlag
Sohnius, Engst und Gschwend, Kontinuität am Bundesverfassungsgericht?, RECHTS|EMPIRIE, 13.05.2020, DOI: 10.25527/re.2020.04