Die Didaktik der Rechtswissenschaft ist ein stetig wachsendes Forschungsgebiet im Spannungsfeld von allmählicher wissenschaftlicher Durchdringung und teils hitziger Reformdiskussion. Dafür sind belastbare empirische Erkenntnisse besonders wichtig, um beurteilen zu können, welche didaktischen Innovationen hilfreich sind, wo Verbesserungspotentiale bestehen und wie die juristische Ausbildung wirklich „funktioniert“. Ein R|E Online-Symposium widmet sich diesen Fragen und lässt im Verlauf mehrerer Monate Wissenschaftler:innen aller Karrierestufen zu Wort kommen. (Red.)
I. Bedeutung der Examensvorbereitung und Ziel der Untersuchung
Das Jurastudium in Deutschland wird bekanntlich mit der „Ersten Juristischen Prüfung“ abgeschlossen, welche anders als in den meisten anderen Studiengängen überwiegend aus einem Staatsexamen in Gestalt einer großen Blockprüfung besteht. Je nach Bundesland müssen Studierende in sechs bis sieben Klausuren ihr juristisches Können unter Beweis stellen. Abgesehen von den Gegenständen des sogenannten Schwerpunktbereichs, den die Universitäten selbst verantworten, werden im Staatsexamen alle Inhalte abgeprüft, die Gegenstand des Studiums waren. Das erste juristische Staatsexamen wird daher als umfangreicher und schwerer wahrgenommen als die meisten Abschlussprüfungen in anderen Studiengängen. Daher hat es sich etabliert, dass das Staatsexamen nicht direkt nach dem Studium abgelegt wird. Vielmehr wird nach der universitären Ausbildung eine besondere Examensvorbereitung absolviert, die lange Zeit vor allem in den Händen privater Repetitorien lag (s. dazu unter: IX.).
Inzwischen haben aber alle Universitäten, welche Rechtswissenschaften als Staatsexamensstudiengang anbieten, ein eigenes Examensvorbereitungsprogramm. Einen Überblick über die Ausgestaltung dieser Programme gibt es bisher nicht. Diese Lücke möchte der vorliegende Beitrag schließen. Dafür haben wir eine statistische Erhebung zu Inhalt und Aufbau der universitären Examensvorbereitungsprogramme durchgeführt, deren Vorstellung den Schwerpunkt des Beitrags darstellt. Im Rahmen der Untersuchung haben sich einige Angebote als besonders interessant herauskristallisiert, auf die wir hier als Leuchtturmprojekte näher eingehen. Zu Beginn werfen wir einen Blick auf die Teilnahmezahlen und beschreiben unsere Datenerhebung. Am Ende des Beitrags gehen wir kurz auf die Examensvorbereitung ohne Repetitorium sowie auf kommerzielle Repetitorien ein.
II. Teilnahmezahlen
Nach einer 2016 veröffentlichten Untersuchung nahmen 86 % der Befragten – 3500 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte der Zulassungsjahre 2004 bis 2010 – für die Examensvorbereitung die Dienste von außeruniversitären Repetitorien in Anspruch (Kilian, JZ 2016, 880, 886). Die Beliebtheit kommerzieller Repetitorien spiegelt sich auch in den Absolventenbefragungen des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften e. V. (BRF) wider: Der jüngsten Befragung aus dem Jahr 2022 mit 1384 Teilnehmenden (Fünfte Absolvent:innenbefragung 2022, S. 58) zufolge besuchten knapp 60,0 % der Befragten ein kommerzielles Repetitorium. Ausweislich der Ergebnisse aus den Vorjahren 2016-2020 lag die Quote beim Besuch der kommerziellen Repetitorien sogar noch höher: 2016: 74,27 % bei 1390 Teilnehmenden, 2018: 71,8 % bei 1461 Teilnehmenden, 2020: 69,4 % bei 1608 Teilnehmenden (s. dazu Zweite Absolventenbefragung 2016, S. 29; Dritte Absolventenbefragung 2018, S. 31; Vierte Absolvent:innenbefragung 2020, S. 32).
In den letzten Jahren haben die Universitäten nachgezogen, wie die gerade genannten, deutlich rückläufigen Zahlen bei der Inanspruchnahme von privaten Repetitorien vermuten lassen. Bei der Absolventenbefragung des BRF aus dem Jahr 2020 gaben immerhin 40,9 % der 1608 Teilnehmenden an, dass sie regelmäßig ein universitäres Repetitorium besucht haben (Vierte Absolvent:innenbefragung 2020, S. 32); 66,2 % besuchten regelmäßig den universitären Klausurenkurs (ebd.). Der Befragung aus dem Jahr 2022 zufolge hat der Besuch dieser Kurse sogar leicht zugenommen: 67,49 % der Befragten haben den universitären Klausurenkurs besucht (Fünfte Absolvent:innenbefragung 2022, S 53).
Die wenigsten Universitäten erheben die Entwicklung der Teilnahmezahlen der vergangenen Jahre im Examensvorbereitungsprogramm statistisch. Allerdings konnten die meisten Universitäten eine Einschätzung geben (s. zur Datenerhebung sogleich unter: III). 22 Universitäten (51,16 %) schätzten die Teilnahmezahlen als konstant ein. 10 Universitäten (23,26 %) hingegen gaben an, dass die Teilnahmezahlen zunähmen. Als Gründe wurden mitunter angeführt, dass neue Angebote aufgenommen und Angebote insgesamt verbessert wurden. Eine Universität wies darauf hin, dass die Teilnahmezahlen sehr vom teilnehmenden Jahrgang abhängen würden. Bei nur 3 Universitäten (6,98 %) sind die Teilnahmezahlen in den letzten Jahren gesunken. Eindeutige Gründe dafür wurden nicht genannt. 7 Universitäten (16,28 %) konnten zur Entwicklung der Teilnahmezahlen keine Angaben machen.
III. Datenerhebung
In der Erhebung berücksichtigt sind alle Universitäten, welche Rechtswissenschaften als Staatsexamensstudiengang anbieten. Von den 46 Mitgliedern des Deutschen Juristen-Fakultätentages (DJFT) gehören dazu 43 Fakultäten. Ausgenommen sind die Universitäten Rostock, Siegen und Speyer, die keinen Staatsexamensstudiengang anbieten. Erfasst sind auch die privaten Hochschulen: die Bucerius Law School in Hamburg, die EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden und die neu gegründete BSP-Business and Law School in Berlin (auch wenn diese noch keine Studierenden in der Examensvorbereitung hat). Obwohl die Bucerius Law School als Hochschule mit nur einem Studienfach keine Universität im formellen Sinne darstellt, wird sie der Einfachheit halber im Sinne dieses Artikels auch unter den Begriff der Universität erfasst.
Für die Zwecke dieses Aufsatzes wurde ein Fragenkatalog von ca. 50 Fragen zur Ausgestaltung eines Examensvorbereitungsprogramms erarbeitet. Auf Basis dieses Fragenkatalogs wurden zunächst Informationen ausgewertet, die auf den Websites der Universitäten, die den Studiengang Rechtswissenschaft anbieten, auffindbar waren. Da sich nicht alle Fragen auf diese Weise beantworten ließen, wurde anschließend telefonisch bei den Ansprechpersonen des jeweiligen Examensvorbereitungsprogramms nachgefragt. Erfreulich war, dass diese überwiegend sofort bereit waren, ausführlich die Fragen zu beantworten. Im Laufe der Telefonate wurde außerdem deutlich, dass ein großes Interesse an einer Auswertung der universitären Examensvorbereitungsprogramme besteht. Waren die Ansprechpersonen telefonisch nicht erreichbar, so wurde per E-Mail nachgefragt. Die Datenerhebung erfolgte überwiegend im Zeitraum zwischen September 2023 und März 2024. Neuerungen nach diesem Zeitpunkt wurden nicht berücksichtigt.
Der für die Untersuchung entwickelte Fragebogen wurde nicht vorher getestet. Im Zuge der Untersuchung mussten daher einige Fragen ergänzt und präzisiert werden, um ein vollständiges Bild der Angebote zu erhalten. Bei vielen Universitäten musste somit im Nachhinein punktuell nachgefragt werden. Zudem waren auch nicht alle Universitäten gleichermaßen kooperativ, sodass die Daten marginal unvollständig sind. Um eine Vergleichbarkeit herzustellen, wurden die Informationen im Zuge der Auswertung kategorisiert und damit minimale Einbußen bei der Präzision in Kauf genommen. In den Kreisdiagrammen werden die Daten aufgerundet angezeigt.
Die Daten werden anonymisiert im Repositorium (DOI: 10.5281/zenodo.12772885) zur Verfügung gestellt. Um die Anonymität sicherzustellen, sind im Datensatz kleinere, aber unerhebliche Änderungen vorgenommen worden.
IV. Hauptangebote
Bei der Analyse der Angebote der Examensvorbereitungsprogramme der verschiedenen Universitäten kristallisieren sich drei Angebote heraus, die es nahezu an allen Einrichtungen gibt: Hauptkurse, Klausurenkurse sowie konkrete Prüfungssimulationen wie das Probeexamen und die Simulation der mündlichen Prüfung (vgl. dazu auch: BRF/Bauch/Joch, Gutachten 2022: Universitäre Examensvorbereitung, S. 6).
1. Hauptkurse
Alle 42 Präsenzuniversitäten bieten Kurse an, in denen der examensrelevante Stoff in Plenumsveranstaltungen wiederholt wird, die wir hier als Hauptkurse bezeichnen.
Konzeptionell wenig überraschend gibt es solche Veranstaltungen an der FernUniversität Hagen nicht. Vielmehr erarbeiten die Studierenden dort den Stoff individuell mit unterschiedlichen Materialien und gestalten ihre Examensvorbereitung flexibel.
Bezüglich der Hauptkurse wurden Daten erhoben zu den Zeiträumen, zum inhaltlichen Aufbau, zur Anzahl der Termine und deren Dauer, zu Dozenten und Material sowie zu ergänzenden Videoformaten.
Aufgrund der unterschiedlichen Formate bleibt die FernUniversität Hagen bei den Erhebungen über Zeiträume, inhaltlichen Aufbau und Anzahl der Veranstaltungen sowie Dozenten unberücksichtigt.
a) Zeiträume
Die Veranstaltungen im Hauptkurs sind an 29 Universitäten (69,05 %) für einen Zeitraum von einem Jahr angelegt. An den übrigen 11 Universitäten (26,19 %) sind die Zeiträume in der Regel nur unwesentlich kürzer (zwischen 9,5 und 11,5 Monaten). Die kürzeste Dauer der Laufzeit der Hauptkurse beträgt 8 Monate, die längste 18 Monate.
An den meisten Universitäten ist es möglich, flexibel in die Hauptkurse einzusteigen. Viele Universitäten empfehlen jedoch, zu einem bestimmten Zeitpunkt (z. B. Wintersemester) mit der Vorbereitung zu beginnen, weil die Inhalte in der Regel aufeinander aufbauen. Lediglich an einer Universität (2,38 %) ist es nicht möglich, flexibel in die Hauptkurse einzusteigen. Das liegt daran, dass das universitäre Repetitorium fester Bestandteil im Studienverlaufsplan ist.
Besondere vorlesungsfreie Zeiten – also z. B. für das jeweilige Examensvorbereitungsprogramm geltende Sonderferien innerhalb oder außerhalb der regulären Semesterferien – sind an 37 Universitäten (88,1 %) fest eingeplant. An den übrigen 5 Universitäten (11,9 %) finden praktisch durchgehend Veranstaltungen statt.
b) Inhaltlicher Aufbau
19 Universitäten (45,24 %) geben an, dass ihre Hauptkurse überwiegend fallorientiert aufgebaut sind. 4 Universitäten (9,52 %) stufen ihre Hauptkurse als überwiegend systematisch ein. An 15 Universitäten (35,71 %) werden der systematische und der fallorientierte Ansatz miteinander kombiniert. Die übrigen 4 Universitäten (9,52 %) haben keinen einheitlichen Aufbau der Hauptkurse: Die Gestaltung hängt von den jeweiligen Dozentinnen und Dozenten ab.
An 29 Universitäten (70,73 %) werden alle drei großen Rechtsgebiete in einer Woche parallel unterrichtet, an 9 Einrichtungen (20,73 %) zwei und nur an 4 Fakultäten (8,54 %) finden lediglich Veranstaltungen zu einem Rechtsgebiet gleichzeitig statt.
An der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ist – offenbar mit Blick auf die Abschichtungsmöglichkeit in NRW – das Examensvorbereitungsprogramm bislang auf drei Semester ausgelegt: im sechsten Semester wird nur das gesamte Strafrecht wiederholt, im siebten und achten Semester dann das Zivil- und Öffentliche Recht. Parallel kann die Schwerpunktbereichsausbildung absolviert werden. Da das Abschichten im reformierten JAG NRW künftig nicht mehr möglich ist, wird das Repetitorium beginnend mit dem Wintersemester 2025/26 allerdings ebenfalls auf ein zweisemestriges Modell umgestellt werden.
Die Universität Mannheim ist in dieser Statistik jeweils anteilig in der Kategorie mit einem und zwei Rechtsgebieten vertreten. Aufgrund der Abschichtungsmöglichkeit im gestuften Kombinationsstudiengang (§ 37 Abs. 1 JaPro BW) wird zunächst zwei Semester lang nur Zivilrecht unterrichtet und anschließend Strafrecht und öffentliches Recht parallel. Von einer Universität liegen keine Daten vor.
c) Anzahl der Veranstaltungen und Dauer
Pro Woche bieten die Universitäten im Rahmen ihres Hauptkurses zwischen drei und sieben Plenumsveranstaltungen an; überwiegend sind es drei (25 Universitäten, 59,52 %) oder vier Veranstaltungen (8 Universitäten, 19,05 % der Universitäten). An Universitäten, die eine höhere Anzahl an Veranstaltungen anbieten, sind diese regelmäßig kürzer und dauern 90-120 min/Termin, d. h. ca. 2-3 Unterrichtsstunden à 45 min. Außerdem werden an diesen Universitäten häufig zwei Rechtsgebiete an einem Tag behandelt. An den Universitäten, die etwa drei Veranstaltungen pro Woche anbieten, wird hingegen ein Rechtsgebiet pro Tag behandelt. Die Veranstaltungen sind länger und dauern durchschnittlich ca. 175 min., d. h. ca. 4 Unterrichtsstunden à 45 min. Zu beachten ist aber, dass an 21 Universitäten die Veranstaltungen nicht immer gleich lang sind, sondern sowohl kürzere als auch längere Einheiten stattfinden. Es ist davon auszugehen, dass bei allen Terminen auch jeweils Pausenzeiten vorgesehen sind, die aber nicht explizit im Stundenplan aufgeführt und hier nicht berücksichtigt sind.
Die Plenumsveranstaltungen im Rahmen des Hauptkurses werden an 9 Universitäten (21,43 %) (teilweise) hybrid angeboten. Überwiegend setzen die Universitäten aber ganz auf die Lehre in Präsenz (78,57 %).
d) Dozentinnen und Dozenten
An allen Universitäten unterrichten Professorinnen und Professoren schwerpunktmäßig die Hauptkurse, an 21 Universitäten (50 %) sogar ausschließlich. An 16 Universitäten werden zusätzlich wissenschaftliche Assistentinnen und Assistenten oder wissenschaftliche Mitarbeitende eingesetzt (38,10 %). An 14 Universitäten unterrichten zusätzlich auch Praktikerinnen und Praktiker und/oder andere externe Lehrpersonen (33,33 %).
e) Material zu den Hauptkursen
Welche Art von schriftlichem Material zu den Hauptkursen bereitgestellt wird, unterscheidet sich von Universität zu Universität erheblich. Großenteils wird den Studierenden ein Skript zur Verfügung gestellt (21 Universitäten, 48,84 %) sowie Lösungen zu den besprochenen Fällen (27 Universitäten, 62,79 %).
9 Universitäten (20,93 %) geben an, dass es sehr von den Lehrpersonen abhänge, ob und welches Material die Studierenden erhalten. Mit Blick auf Art. 5 III GG dürfte dies ein Stück weit aber für alle Fakultäten gelten. Nur an einer Universität (2,33 %) wird kein schriftliches Material im Anschluss an die Hauptkurse zur Verfügung gestellt. Manche Universitäten haben auch explizit darauf hingewiesen, dass aufgrund der Vielzahl bereits vorhandener juristischer Ausbildungsliteratur kein eigenes Skript herausgegeben wird.
Bezüglich der Bereitstellung von Material ist die Vernetzung der Fakultäten Münster, Bielefeld, Bochum, Frankfurt/Oder, Leipzig, Düsseldorf und der FernUniversität Hagen hervorzuheben. Über die E-Learningplattform der Universität Münster unirep-online können Studierende der genannten Universitäten (in unterschiedlichem Umfang) auch auf Material der anderen Institutionen zugreifen.
f) Ergänzende Videoformate
Ergänzende Videoformate werden von 9 Universitäten (20,93 %) eingesetzt, von denen wir hier beispielhaft einige erwähnen. Die folgenden Ausführungen beruhen auf den Informationen, die von den Universitäten zur Verfügung gestellt worden sind. In der Regel sind die Angebote nur für die Studierenden der jeweiligen Einrichtung zugänglich und konnten im Zuge der Untersuchung nur vereinzelt angeschaut werden.
Die Universität Leipzig bietet mit den „Leo-Videopodcasts“ die Möglichkeit, gezielt besonders relevante Examensprobleme zu wiederholen. Neben Examensklassikern werden Themen behandelt, die in den Lehrveranstaltungen aus Zeitgründen nicht besprochen werden können.
Prof. Dr. Beurskens (Universität Passau) stellt interaktiv ausgestaltetete Online-Lerneinheiten mit integrierten Videos zu verschiedenen zivilrechtlichen Thematiken zur Verfügung.
Studierende der Universität Bonn können einen Video-Podcast mit jeweils drei Folgen pro Rechtsgebiet speziell zur Klausurtechnik abrufen. Der Video-Podcast versteht sich als Teil der Klausurenklinik (s. dazu sogleich unter: V.1.c) und soll grundlegendes Wissen zur Vorbereitung für die anschließende Einzelberatung vermitteln.
Die Bucerius Law School Hamburg veröffentlicht über den YouTube-Account „Bucerius Law School – Lecture digital“ frei zugängliche digitale Lehrinhalte, die sich an Studierende unterschiedlichen Ausbildungsniveaus richten. Zahlreiche dieser Videos können auf der Plattform PlayPosit angeschaut werden. Dort stoppt das Video bei Fragen, Hinweisen oder Normtexten automatisch. So können die Studierenden sich interaktiv mit den Inhalten auseinandersetzen. Werden die Videos über PlayPosit an der Bucerius Law School als Teil einer Veranstaltung genutzt, werden Interaktionsdaten an die Lehrenden übermittelt. Diese können daraus erkennen, bei welchem Punkt noch Klärungsbedarf besteht.
2. Klausurenkurse
Klausurenkurse werden an allen 43 Universitäten angeboten und sind damit der zweite große Bestandteil universitärer Examensvorbereitungsprogramme. Mancherorts können Klausuren bereits digital eingereicht werden, z. B. an der Bucerius Law School Hamburg und der Freien Universität Berlin. An letzterer hat diese Möglichkeit sogar dazu geführt, dass die Zahl der eingereichten Bearbeitungen um ca. 20-30 % im Vergleich zur analogen Methode gestiegen ist. Mit Blick auf das E-Examen ist davon auszugehen, dass die digitale Einreichung künftig auch an anderen Universitäten möglich sein wird.
38 Universitäten (88,37 %) bieten im Rahmen des Klausurenkurses eine Klausur pro Woche an. An 5 Universitäten (11,63 %) ist es sogar möglich, zwei oder drei Klausuren pro Woche zu schreiben.
In unterschiedlichem Umfang sind Originalexamensklausuren in das Angebot integriert: An 6 Universitäten (13,95 %) werden ausschließlich Originalklausuren, an 12 Universitäten (27,91 %) überwiegend und im Übrigen teilweise Originalklausuren verwendet (58,14 %, 25 Universitäten). Diese Unterschiede resultieren vermutlich vor allem daher, dass die einzelnen Justizprüfungsämter in unterschiedlichem Maße Originalexamensklausuren zur Verfügung stellen.
An allen 43 Universitäten werden die Klausuren korrigiert. 40 Universitäten (93,02 %) bieten zusätzlich auch eine Besprechung der Klausuren an.
Zudem stellen alle Universitäten eine schriftliche Lösung zu den Klausuren zur Verfügung. 8 Universitäten (18,60 %) bieten eine in Stichpunkten gehaltene Lösungsskizze an, 13 Universitäten (30,23 %) generell eine in Gutachtenform ausformulierte Musterlösung (zu den Begriffen, Czerny, Analyse von Falllösungsskizzen zu Examensübungsklausuren). 5 Universitäten (11,63 %) geben an, dass beide Arten der schriftlichen Lösung zur Verfügung gestellt werden. An 16 Universitäten (37,21 %) hängt die Art der schriftlichen Lösung davon ab, wer die Klausur stellt. Eine Universität konnte wegen des sich noch im Aufbau befindlichen Examensvorbereitungsprogramms keine Angaben zur Ausgestaltung der schriftlichen Lösung machen.
An 7 Universitäten (16,28 %) erhalten die Studierenden zusätzlich Zugriff auf eine gelungene studentische Klausurbearbeitung, teilweise “studentische Musterlösung” genannt, die exemplarisch zeigen soll, was in fünf Stunden tatsächlich leistbar ist. Damit soll im Vergleich zu den lehrstuhlseits häufig doch sehr ausführlich gehaltenen ausformulierten Musterlösungen ein realistischeres Bild der Klausuranforderung vermittelt werden (vgl. Czerny, Analyse von Falllösungsskizzen zu Examensübungsklausuren). An manchen Universitäten wurde das Konzept ausprobiert und wieder abgeschafft, etwa weil zu wenig Studierende bereit waren, ihre Klausur zur Verfügung zu stellen.
3. Probeexamen und mündliche Prüfungssimulationen
Die dritte Säule der universitären Examensvorbereitungsprogramme ist ein Probeexamen, welches von 40 Universitäten (93,02 %) angeboten wird. Das Probeexamen findet an 11 Universitäten (25,58 %) einmal im Jahr, an 28 Universitäten (65,12 %) zweimal und an einer Universität (2,33 %) dreimal im Jahr statt. Dabei bieten die meisten Universitäten entsprechend der Anzahl der Klausuren im Staatsexamen im jeweiligen Bundesland sechs bzw. sieben Klausuren in einem Probeexamensdurchgang an. Es wurde nicht abgefragt, ob Studierende auch häufiger als einmal am Probeexamen teilnehmen können. Vermutlich ist dies regelmäßig nicht der Fall, sondern die Entscheidung für einen Termin nötig.
An der Universität Heidelberg ist es zudem möglich, eine Klausur des Probeexamens durch einen „Originalprüfer oder eine Originalprüferin“ korrigieren zu lassen. Diese sog. Einzelanalyse ist für jeden Studierenden einmal möglich. Voraussetzung für die Einzelanalyse ist, dass die Studierenden drei Teilnahmescheine in den sog. Examenstutorien – entspricht den Hauptkursen i. S. dieses Beitrags – vorlegen, mindestens 24 Klausuren des Klausurentrainings geschrieben sowie an der schriftlichen Staatsprüfung noch nicht teilgenommen haben. Nach eigenen Angaben der Universität Heidelberg geben pro Klausur des Probeexamens ca. 130-200 Studierende eine Klausur ab, von denen bis zu 20 Studierende eine Einzelanalyse in Anspruch nehmen.
Die überwiegende Anzahl der Universitäten (41 Universitäten, 95,35 %) bieten auch Prüfungssimulationen für die mündliche Prüfung des Staatsexamens an.
V. Zusatzangebote
Neben diesen drei Hauptbestandteilen des Examensvorbereitungsprogramms gibt es zahlreiche weitere Angebote, die je nach Universität variieren. Vorgestellt werden im Folgenden methodische Veranstaltungen (V.1), organisierte Lerngruppen (V.2), Veranstaltungen zur aktuellen Rechtsprechung (V.3) Wiederholungskurse (V.4), Mental Health Angebote (V.5), Online-Angebote (V.6) sowie Räumlichkeiten, die den Examenskandidatinnen und -kandidaten vorbehalten sind (V.7).
1. Methodische Veranstaltungen mit Schwerpunkt juristische Lern- und Klausurtechnik
Die überwiegende Anzahl der Universitäten bietet auch besondere methodische Veranstaltungen an. Lediglich 10 Universitäten (23,26 %) haben keine spezifisch methodischen Veranstaltungen im Programm. In methodischen Veranstaltungen werden Denk- und Handlungsschritte zur Bearbeitung eines jeden juristischen Falls vermittelt. Zum Teil geht es auch darum, den Studierenden effektive Instrumente an die Hand zu geben, um den juristischen Lernstoff in seiner Fülle zu bewältigen. Methodische Veranstaltungen befassen sich daher schwerpunktmäßig gerade nicht mit der Wissensvermittlung.
a) „Klausurtrainings“ und „Klausurenwerkstätten“
An 10 Universitäten (23,26 %) gibt es sog. „Klausurtrainings“ – zum Teil auch „Klausur(en)werkstatt“ genannt. Beim „Klausurtraining“ liegt der Fokus nicht auf dem Schreiben des Gutachtens selbst. Vielmehr sollen die Grundlagen des effektiven Klausurlösens vermittelt werden, etwa indem am Beispiel eines oder mehrerer Fälle geübt wird, wie mit Sachverhaltsangaben umzugehen ist, wie die einschlägigen Rechtsgrundlagen ermittelt, die Schwerpunkte bestimmt oder wichtige begriffliche Maßstäbe gebildet werden. Nachdem die Studierenden ihre Gliederung fertiggestellt haben, wird die Klausur mit einer Lehrperson besprochen (s. Universität Augsburg: https://perma.cc/4XSU-Z39F).
An der Universität Heidelberg wird die Technik des Klausurenschreibens in einem Workshop-Format vermittelt. Die Teilnehmerzahl ist auf ca. 30 Studierende begrenzt. Die Universität Bielefeld bietet das Format „Klausurenlehre“ an: Fünf Richterinnen und Richter besprechen Originalexamensklausuren und geben Tipps zur Vorgehensweise in der Klausur.
Zum Teil sind Klausurtrainings-Angebote aber auch allgemeiner gehalten und beschäftigen sich nicht im Kern mit einer Klausur, anhand derer auch methodische Herangehensweisen vermittelt werden. Vielmehr gibt es auch Angebote, die grundsätzliche Tipps zum Klausurschreiben vermitteln sollen, etwa, wie eine Problemlösung sinnvoll aufgebaut und methodengerecht dargestellt werden kann. Ein solches Format bietet beispielsweise die Universität Osnabrück mit ihrer „Schreibwerkstatt“ an. Die Teilnahme an diesem Kursformat wird aufgrund seiner Allgemeingültigkeit zu Beginn des Jahreskurses empfohlen.
b) Fallbesprechung in kleineren Gruppen
An 3 Universitäten (6,98 %) werden in Extrakursen Fälle besprochen, die Kleingruppen, Arbeitsgemeinschaften oder Falltutorien genannt werden. Dabei soll zum einen die Falllösungstechnik vermittelt werden. Allerdings steht oft auch der dogmatische Inhalt im Vordergrund, sodass es sich eher nur um methodische Veranstaltungen im weiteren Sinne handelt. Diese ähneln tendenziell den im Grundstudium viel verbreiteteren Arbeitsgemeinschaften,
c) Einzelberatungen
Im Rahmen einer „Klausurenklinik“ können Studierende in Einzelgesprächen ihre geschriebene Examensübungsklausur analysieren und sich Tipps zur persönlichen Lernstrategie geben lassen. Teilweise wird ein anderer Begriff verwendet, etwa „Klausurenwerkstatt“. Überwiegend wird aber der Begriff Klausurenklinik verwendet, weshalb dieser Begriff auch im Rahmen der Untersuchung verwendet wird. Dieses Angebot ist Folge der Erkenntnis, dass es den Studierenden häufig nicht am materiellen Wissen fehlt, um eine Klausur richtig zu lösen, sondern vielmehr an der Methodik und Technik der Klausurbearbeitung. Erstmals eingeführt wurde die Klausurenklinik 2004 an der Bucerius Law School (s. Körner, LTO). Inzwischen wird sie an 24 Universitäten (55,81 %) angeboten. Aufgrund der hohen Nachfrage ist es jedoch nicht überall möglich, zu jeder Zeit eine Klausurenklinik in Anspruch zu nehmen. Die Studierenden können an manchen Universitäten nur eine begrenzte Anzahl an Terminen pro Semester wahrnehmen (s. etwa die Informationen zur Klausurenklinik nach gegenseitiger Korrektur der Studierenden der Universität Potsdam: Eine Teilnahme ist einmal alle zwei Monate möglich).
2. Organisierte Lerngruppen
Organisierte studentische Lerngruppen gibt es nur an 2 Universitäten (4,65 %).
In sogenannten Minigruppen – bestehend aus 2-5 Studierenden – werden an der Bucerius Law School die Fälle für die Kleingruppen vorbereitet oder selbstorganisierte Fälle nach dem „Expertenmodell” gelöst. Beim Expertenmodell ist im Wechsel jeweils eine Person für die Auswahl des Falles verantwortlich. In Kenntnis der Lösung leitet die Person als „Experte” die Minigruppe an.
An der Universität Mannheim stehen Lerngruppen im Fokus des Programms Rep2plus (s. dazu unter: VII.3).
An 10 Universitäten (23,26 %) werden die Studierenden bei der Lerngruppenvermittlung unterstützt. Die Universität Heidelberg beispielsweise bietet auch ein Coaching für Lerngruppen an, damit das gemeinsame Lernen noch effektiver wird.
3. Aktuelle Rechtsprechung
Angebote zur Auseinandersetzung mit aktueller Rechtsprechung gibt es in unterschiedlicher Form an 32 Universitäten (74,41 %).
a) Präsenzkurse
An 17 Universitäten (39,53 %) wird aktuelle Rechtsprechung in gesonderten Präsenzkursen behandelt, in denen typischerweise aktuelle Entscheidungen in Form der Falllösung besprochen werden. Zum Teil handelt es sich um Blockveranstaltungen, zum Teil um Veranstaltungen, die im regelmäßigen Turnus stattfinden. An 5 Universitäten (11,63 %) werden Ausführungen/Anmerkungen zu aktueller Rechtsprechung nicht in einer gesonderten Veranstaltung vorgestellt. Vielmehr wird an diesen Universitäten aktuelle Rechtsprechung in die Hauptkursen zu den jeweiligen Rechtsgebieten integriert. Aktuelle Rechtsprechung wird teilweise auch als Material von Crashkursen genutzt (s. IV.4).
b) Online-Formate zur aktuellen Rechtsprechung
Online-Angebote zur aktuellen Rechtsprechung gibt es an 5 Universitäten (11,63 %).
Beispielsweis können sich Studierende im digitalen Fallbuch der Bucerius Law School aktiv durch didaktisch aufbereitete Fälle aktueller Rechtsprechung klicken (s. dazu unter: V.4)
Im bundesweit frei zugänglichen Rechtsprechungsarchiv der Universität Passau (Lehrstuhl Prof. Dr. Riehm) sind bereits über 300 zivilrechtliche Entscheidungen seit 2013 mit Sachverhalt und Lösung aufbereitet. Zu zahlreichen Entscheidungen ist zusätzlich der Stream einer Besprechung verfügbar (zum dahinterstehenden didaktischen Konzept Riehm/Heiß, ZDRW 2019, 267 ff.). Zudem werden in Passau auf Basis einer studentischen Initiative kurze Videos zu aktuellen Entscheidungen erstellt, die bei YouTube kostenlos abrufbar sind („Aktuelle Rechtsprechung in 200 Sekunden“).
Die FernUniversität Hagen bietet einen Online-Kurs an, in dem Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung besprechen. Den Teilnehmenden wird vorab ein nachgebildeter Sachverhalt zur Verfügung gestellt. Die Veranstaltungen werden nicht aufgezeichnet, sind aber im Nachgang an die Veranstaltung als Podcast verfügbar, in dem die wichtigsten Punkte der jeweiligen Entscheidung genannt werden.
An der Universität Hamburg finden Kurse zur aktuellen Rechtsprechung online via Zoom statt.
c) Hinweise auf aktuelle Rechtsprechung
6 Universitäten (13,95 %) weisen regelmäßig auf aktuelle Entscheidungen hin, 2 davon zusätzlich zum Präsenzkurs. Teilweise sind die Entscheidungen didaktisch besonders aufbereitet, teilweise nicht.
Zum Beispiel führt die Universität Bielefeld auf ihrer Website eine Liste mit aktuellen examensrelevanten Entscheidungen im Zivilrecht und nennt neben Aktenzeichen und Fundstelle auch Stichwörter zum Inhalt.
Die Universität Münster bereitet aktuelle Urteile für die Studierenden auf. Eine Themennavigation, Schlagwörter sowie die Hervorhebung wichtiger Passagen und Prüfungsmerkmale sollen das Lesen der wichtigen Passagen eines Urteils vereinfachen. Die Universität Leipzig versendet monatlich den Leo-Newsletter mit kurzen Zusammenfassungen aktueller Entscheidungen und Nachweisen auf Entscheidungsbesprechungen.
4. Wiederholungskurse (Crash- und Repetentenkurse)
11 Universitäten (25,58 %) bieten gegen Ende der Examensvorbereitung oder kurz vor bestimmten Examensterminen Wiederholungskurse in Gestalt von „Crashkursen” an. Die konkrete Ausgestaltung variiert. Etwa bietet die Universität Augsburg komprimierte Kurse in den Gebieten Zivilprozessrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Familien- und Erbrecht, Strafprozessrecht sowie Kommunalrecht an. Außerdem findet jährlich ein zweiteiliger Crashkurs im Arbeitsrecht statt. An der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Leipzig („LEO-Quick“) werden als Grundlage für die Crashkurse aktuelle Entscheidungen genommen, die gutachterlich gelöst werden.
Die Universität Freiburg bietet mit der sog. „Schuldrechtshütte“ ein dreitägigen Blockseminar an. Ca. 45 Studierende können kompakt den examensrelevanten Stoff des Schuldrechts und verwandte Rechtsgebiete erarbeiten.
7 Universitäten (16,28 %) bieten spezielle Wiederholungskurse (auch Repetentenkurse genannt) für diejenigen Studierenden an, die das Staatsexamen nicht bestanden haben. An der Ruhr-Universität Bochum etwa haben Studierende in einem solchen Kurs die Möglichkeit, Fälle, die auf Originalkausuren beruhen, zu lösen und zu schreiben. An der Universität Trier ist das Kursformat offengehalten: Die Studierenden können alle Fragen stellen und den Kurs nach ihren Vorstellungen gestalten lassen. Sofern keine Wünsche geäußert werden, erfolgt die Besprechung geeigneter kurzer Fälle aus dem Pflichtstoff.
5. Mental Health
Das Staatsexamen ist bekanntlich auch mental eine große Herausforderung für die Studierenden. An 14 Universitäten (32,56 %) gibt es Coachingangebote. 5 Universitäten (11,63 %) bieten Workshops zu Themen rund um Stressmanagement und -bewältigung in der Examensvorbereitung an.
6. Online-Angebote
Online-Angebote bildeten nicht den Schwerpunkt der Untersuchung. Das ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass die Angebote sehr divers und vereinzelt sind, sodass eine ausführliche Darstellung den Rahmen des Beitrags sprengen würde. Außerdem sind nicht alle Angebote auch für die Studierenden anderer Universitäten oder die Öffentlichkeit verfügbar, sodass eine umfassende Analyse nicht möglich ist.
Die meisten Universitäten haben eine Online-„Lern“-Plattform. Dabei handelt es sich jedenfalls für die allein abgefragte Phase der Examensvorbereitung aber regelmäßig nicht um besondere digitale Lehr- und Lernformate, die die Möglichkeiten der Digitalisierung ausschöpfen. Vielmehr wird auf diesen Plattformen meist Material aus Präsenzveranstaltungen digital und gebündelt gesammelt, statt es ausgedruckt zu verteilen oder per E-Mail zu versenden.
„Echte“ Online-Angebote, die über bloße Materialbereitstellung hinaus gehen, sind immer noch eher selten (zum Einsatz digitalisierter Lernmittel in der universitären juristischen Ausbildung s. Neubert, ZDRW 2022, 292). Ein Grund ist sicherlich, dass solche Angebote zeitintensiv sind und häufig vom Engagement der Personen abhängen, die solche Angebote umsetzen. Gleichwohl bieten einige Universitäten besondere digitale Lehr- und Lernformate an. Neben einigen Leuchtturmprojekten (dazu siehe unten unter: VII.) und ergänzenden Videoformaten (dazu siehe oben unter: IV.1.f), werden hier beispielhaft vier solcher Formate vorgestellt. Darüber hinaus kann es für Universitäten sinnvoll sein, externe Angebote einzubetten (s. dazu: IX.2.d).
a) Juristisches Klausurtraining und juristische Fallsimulationen aus Passau
Prof. Dr. Beurskens, Universität Passau, hat unter anderem Visilex entwickelt. Dahinter verbergen sich Karteikarten zu einzelnen juristischen Problemen sowie Multiple-Choice-Fragen zu kleinen juristischen Fällen. Die Angebote stehen Studierenden aus ganz Deutschland zur Verfügung. Hat man eine Uni-ID aus Passau, Bonn oder Düsseldorf, kann man sich direkt einloggen, ansonsten kann man sich ein Benutzerkonto erstellen, um die Angebote zu nutzen.
b) Online-Angebote der Universität Münster
Die Universität Münster bietet u. a. Online-Lektionen, Selbsttestmodule und Podcasts an. Die Online-Lektionen enthalten für die examensrelevanten Rechtsgebiete unverzichtbares Basiswissen, themenspezifische Übungsfälle und Fragen zur Lernkontrolle. In den Selbsttestmodulen können die Kandidatinnen und Kandidaten interaktive Lernfragen beantworten, um ihren eigenen Wissensstand zu überprüfen. Die Lernfragen gliedern sich in Lückentext-, Multiple Choice-, Fehlertext- oder Anordnungsfragen auf. Bei den Podcasts handelt es sich um Beiträge zum BGB AT, Schuldrecht AT und Sachenrecht (I & II) und zur Rhetorik. Innerhalb von je 20-45 Minuten sollen Grundlagen vermittelt werden. Auch bzgl. der Online-Angebote kooperiert die Universität Münster mit anderen Fakultäten (s. VI.1.e).
c) E-Learning-Projekte an der FAU Erlangen-Nürnberg
Die zahlreichen E-Learning-Projekte der FAU Erlangen-Nürnberg richten sich nicht vorrangig an Studierende in der Examensvorbereitung. Vielmehr sollen die Studierenden von Anfang an durch unterstützende Online-Angebote und Video-Podcasts mit der juristischen Arbeitsmethode vertraut gemacht werden. Einige der Angebote wie z. B. Videos zu Gutachten- und Seminartechnik, Online-Karteikarten oder auch die Online-Lerngruppenvermittlung sind aber auch besonders in der Examensvorbereitung relevant. Die Angebote, die auf der Plattform „StudOn“ zur Verfügung gestellt werden, sind auch für Studierende anderer Fakultäten zugänglich.
d) Dskrpt – das digitale Vorlesungsskript an der Bucerius Law School Hamburg
Mit Hilfe der Lernplattform dskrpt, die am Learning Innovation Lab (LIL) der Bucerius Law School entwickelt wurde, können Lehrende ihren Studierenden multimediale vorlesungsbegleitende Materialien anbieten, die über die Möglichkeiten eines Skripts im Papierformat hinausgehen (ausführlich zum dskrpt s. den Beitrag von Gerlach, ZDRW 2023, 200): Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sowie ergänzende Materialien wie kleine Videos oder Lernerfolgskontrollen können direkt eingebunden werden. Außerdem enthalten ist eine Funktion zur open access Veröffentlichung der Lehrmaterialien. Studierenden soll dskrpt ermöglichen, Lernfortschritte einzusehen oder aber einzelne Punkte mit Kommilitonen und Kommilitoninnen zu diskutieren, indem man sich gegenseitig in der Kommentarfunktion erwähnt oder Markierungen und Fragen miteinander teilt. Außerdem können Studierende eigene Lernmaterialien mit der gleichen Funktionalität erstellen und bestehende Materialien einbinden. Auch eine auf dem spaced repetition-Algorithmus supermemo2 basierende Karteikartenfunktion ist enthalten. Dskrpt richtet sich nicht nur an Examenskandidatinnen und -kandidaten, sondern soll in jedem Studienjahr eingesetzt werden können. Die Plattform wird im Herbst 2024 als Software-as-a-Service-Angebot nutzbar sein.
7. Räume
Räumliche Besonderheiten für Studierende, die sich in der Examensvorbereitung befinden, gibt es noch nicht an vielen Universitäten. Die Universität Heidelberg hat mit ihrer VillaHeidelPräp! einen Ort geschaffen, der angehenden Examenskandidaten vorbehalten bleibt. 50 von ihnen können sich um einen Dauerarbeitsplatz bewerben. Die VillaHeidelPräp! umfasst neben den Arbeitsplätzen auch drei Gruppenarbeitsräume, einen Garten, eine Teeküche sowie Dachterrassen und Aufenthaltsräume für den gemeinschaftlichen Aufenthalt.
An der Bucerius Law School gibt es einen gesonderten Bereich in der Bibliothek, der nur für diejenigen Studierenden gedacht ist, die sich in der Examensvorbereitung befinden.
An der Universität Tübingen sind Räume, die Einzel- und Gruppenarbeitsplätze für Examenskandidaten bereithalten, im Aufbau.
VI. Organisation der Examensvorbereitungsprogramme
Ebenfalls untersucht wurde, wie die Examensvorbereitungsprogramme organisiert und koordiniert sind. Da dieser Aspekt erst am Ende der Untersuchung ergänzt wurde, liegen nur die Daten von 39 Einrichtungen vor. Davon verfügen 29Universitäten (74,36%) über eine Anlaufstelle, die organisatorisch den Ablauf des Examensvorbereitungsprogramms koordiniert. Der Umfang dieser Stellen ist aber sehr unterschiedlich ausgestaltet und reicht von einer halben Stelle einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin/eines wissenschaftlichen Mitarbeiters bis hin zu zwei Vollzeitstellen dieser Personengruppe und einer Vollzeitstelle einer Rätin/eines Rats auf Zeit oder einer Professorin/eines Professors.
Die inhaltliche Ausgestaltung bleibt hingegen größtenteils den Lehrpersonen vorbehalten. Immerhin gibt es an 21 Universitäten (53,85%) sog. Fachsäulenkoordinatoren. Häufig sprechen sich die Lehrenden untereinander ab, auch wenn es eine solche Fachsäulenkoordination nicht gibt. Inwiefern so aber eine inhaltliche Gestaltung „aus einem Guss“ erreicht wird, wurde nicht weiter untersucht.
VII. Leuchtturm-Projekte
Im Folgenden werden fünf „Leuchtturmprojekte“ näher vorgestellt. Sie wurden deshalb ausgewählt, weil sie in der Konzeption besonders sinnvoll erscheinen und nicht an allen Universitäten angeboten werden. Gleichsam können sie aber als Vorbild dienen, um ähnliche oder sogar dieselben Angebote auch an anderen Universitäten zu etablieren.
1. Passauer Lehrprofessur-Konzept
Die Universität Passau hat im Jahr 2008/09 zusammen mit Gründung des Instituts für Rechtsdidaktik Lehrprofessuren eingeführt, um die Verantwortung für die Vorbereitung auf das Erste Staatsexamen zu bündeln. Der Lehransatz beinhaltet, dass für jedes Rechtsgebiet ein (Lehr-)Professor dauerhaft hauptverantwortlich ist, der auch den gesamten oder jedenfalls überwiegenden Teil des Unterrichts im Examenskurs hält. Die strukturelle Umgestaltung scheint sich positiv auf die Teilnahmezahlen ausgewirkt zu haben: Während der Examenskurs im Wintersemester 2008/09 nur mit einer Handvoll Teilnehmenden gestartet ist, nahmen im Wintersemester 2022/2023 und Sommersemester 2023 am Examenskurs im Öffentlichen Recht und Zivilrecht je Semester ca. 150 Studierende teil. Im Strafrecht waren es ca. 80 Studierende (Fakultätsbericht der Juristischen Fakultät, Berichtszeitraum WS 2022/23 und SoSe 2023, S. 7). Bei der Evaluation im Examenskurs 2022/2023 haben ca. 95 % der befragten Studierenden angegeben, dass sie allein das universitäre Repetitorium in Anspruch nehmen (ebd., S. 7 – der Artikel enthält keine Angabe zur Teilnehmerzahl an der Umfrage).
2. Kölner Klausurenkurs
Der Kölner Klausurenkurs ist aufgrund seiner Intensität und der Organisationsform besonders hervorzuheben. Pro Woche ist es möglich, zwei bis drei Klausuren zu schreiben, die ausschließlich auf Original-Examensklausuren beruhen. Die Lösungsmaterialien sind ausführlich und mit Schrifttums- und Rechtsprechungsnachweisen versehen, um einen Lern- und Wiederholungseffekt zu erzielen. Sofern nötig und sinnvoll, sind alternative Lösungswege und methodische Hinweise enthalten.
Ergänzend werden zweistündige Besprechungen angeboten, in denen die relevanten Rechtsfragen des Klausurfalls erörtert und vertieft werden. Außerdem werden die Studierenden auf wiederkehrende Fehler und Aufbaufragen hingewiesen, Aspekte einer guten Klausurlösung hervorgehoben und es wird versucht, vom Anspruch der Vollständigkeit zu befreien. Die Besprechungen werden überwiegend von Professorinnen und Professoren sowie Lehrbeauftragten der rechtswissenschaftlichen Fakultät, die über eine jahre-, teils jahrzehntelange Prüfungserfahrung verfügen, sowie teilweise von Habilitandinnen und Habilitanden durchgeführt.
Bei der Auswahl der Klausurthemen orientieren sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einer statistischen Auswertung der in der staatlichen Prüfung abgefragten Klausurthemen. Themen, die in der staatlichen Prüfung häufiger abgefragt werden, kommen entsprechend häufiger im Klausurenkurs vor.
Angestellte wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihr Examen mit Prädikat bestanden haben, korrigieren die Klausuren und erarbeiten die Lösungsskizzen.
3. Rep²plus der Universität Mannheim
In seiner Form einzigartig ist auch das Konzept „Rep²plus“ der Universität Mannheim in Ergänzung zum klassischen „Rep²“ der Fakultät. Im Rahmen des Rep²plus wird der examensrelevante Stoff in den letzten 40 Wochen vor dem Examen in Lerngruppen mit einer Größe von 2-5 Studierenden wiederholt. Die Zuteilung der Lerngruppen durch das Team des Rep²plus erfolgt aufgrund der Durchschnittsnote aus dem juristischen Bereich des Studiums und aufgrund der Selbsteinschätzung der Kandidatinnen und Kandidaten. So können Studierende mit einem ähnlichen Vorwissen und ähnlichen Ambitionen in einer Lerngruppe zusammenkommen.
Zentrales Element des Programms ist der Rep²plus – Lernpool™. Er beinhaltet alle aus Sicht des Rep²plus-Teams relevanten Examensprobleme. Im Lernpool sind neben einer Liste aller Probleme auch jeweils Fälle und Beiträge miteinander über sog. Ordnungsnummern verknüpft, anhand derer die Studierenden die jeweiligen Themenkomplexe näher erarbeiten können.
Das Rep²plus-Team hat wöchentliche Lerneinheiten erstellt, die in der Lerngruppe oder im Selbststudium erarbeitet werden sollen. Jede Lerneinheit ist in folgende Bestandteile aufgegliedert: Wiederholungsfragen und Fälle für die Lerngruppe, Lernziele der jeweiligen Lerneinheit, Lehrbuchempfehlungen (gestuft nach Detailtiefe), Fälle für das Selbststudium (gestuft nach Schwierigkeitsgrad) sowie empfohlene didaktische Beiträge.
Die wissenschaftlichen Mitarbeitenden des Lehrstuhls von Professor Dr. Friedemann Kainer sind jederzeit für Fragen erreichbar. Außerdem werden zwei Klausurenkliniken für jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer des Programms angeboten. In individuell zu vereinbarenden Examenssprechstunden beantworten Professorinnen und Professoren Fragen der Studierenden. Darüber hinaus werden in Workshops „softskills zur Klausurenbearbeitung“ behandelt. Außerdem werden auch Live-Klausurkorrekturen angeboten, in denen durch Dozentinnen und Dozenten am iPad die Klausur eines Studierenden (mit dessen Einverständnis, aber anonym) korrigiert wird und dabei die Fehler/Vorzüge kommentiert werden. Derartige Live-Klausurkorrekturen sind von sog. Videokorrekturen (dazu sogleich: VII.5.) zu unterscheiden. Bei der Live-Korrektur wird die Klausur synchron korrigiert und mit den Studierenden besprochen. Es wird gerade kein Video aufgenommen, welches dann für die Studierenden abrufbar ist.
Die Veranstalter weisen darauf hin, dass Konzept und Durchführung des Programms bisher sehr gut bewertet würden. Es seien auch Verbesserungen in den Examensergebnissen sichtbar geworden, die in etwa mit der Einführung des Programms korrelierten.
4. Digitales Fallbuch der Bucerius Law School
Beim digitalen Fallbuch der Bucerius Law School Hamburg, das auch für Studierende anderer Fakultäten zugänglich ist, handelt es sich um eine digital aufbereitete, geführte Falllösung. Für Studierende in der Examensvorbereitung werden jeden Monat drei bis vier Fälle veröffentlicht, die auf aktueller Rechtsprechung beruhen (je einer im öffentlichen Recht und Strafrecht, ein bis zwei im Zivilrecht).
Studierende können sich Schritt für Schritt durch eine Falllösung klicken und werden durch leitende Fragen geführt. An schwierigen Stellen werden Hinweise gegeben, um den Bearbeitenden die Möglichkeit zu geben, selbst auf die Lösung zu kommen. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die Falllösungsmethode gelegt, die anhand der führenden Fragen und Zusatzinhalte explizit gemacht wird. Alle zitierten Normen sind verlinkt, sodass die Studierenden angehalten sind, den Gesetzestext stets tatsächlich zu lesen. Zusätzlich werden an entsprechenden Stellen zur Wiederholung und Vertiefung des Stoffes Zusatzmaterialien eingeblendet. Durch das besondere Setting sollen die Studierenden niedrigschwellig aktiviert und motiviert werden, einen Fall durchgängig aktiv und methodisch zu lösen, statt vorschnell die Musterlösung zu lesen.
5. Videokorrekturen
An einigen Universitäten werden Examensübungsklausuren teilweise per Video korrigiert, so z. B. an der Bucerius Law-School Hamburg (Schneider, LTO), der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, der Universität Jena oder der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Ein großer Vorteil einer Videokorrektur gegenüber einer handschriftlichen Korrektur ist, dass individueller auf die einzelne Klausurbearbeitung eingegangen werden kann (dazu Keuchen/Zwickel, ZDRW 2021, 23). Dadurch, dass die Korrektorinnen und Korrektoren ihre Bemerkungen aufnehmen und sie nicht niederschreiben, können sie neben Ausführungen zur rechtlichen Einordnung auch (mehr) Hinweise zur Klausurtaktik geben und den Bearbeitenden den Blick durch die Korrektur-Brille ermöglichen (S. Störmann/Schramm, Hochschulforum Digitalisierung).
VIII. Examensvorbereitung ohne Repetitorien
Im Zuge der Gespräche mit den jeweiligen Ansprechpersonen der Universitäten wurde deutlich, dass auch zunehmend Studierende den Weg zum Examen ohne universitäres oder kommerzielles Examensvorbereitungsprogramm bestreiten (s. auch: BRF/Bauch/Joch, Gutachten 2022: Universitäre Examensvorbereitung, S. 4). Häufig nutzen diejenigen Studierenden, die sich gegen ein Repetitorium entscheiden, nur den Klausurenkurs der jeweiligen Universität. Im Raum Berlin haben ehemalige Studierende der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität die Initiative „JurExit“ gegründet. Auf einer Internetseite stellen sie Tipps und Tricks für die Examensvorbereitung ohne Repetitor sowie eine digitale Lerngruppenbörse bereit. Außerdem setzt sich das Team von JurExit auch für die Verbesserung des juristischen Ausbildungssystems ein.
IX. Vergleich mit kommerziellen Repetitorien
1. Lange Tradition privater Repetitorien
Bevor die Universitäten selbst gezielt auf das Examen vorbereiteten, waren es die kommerziellen Repetitorien, die sich dieser Aufgabe annahmen. Die Anfänge juristischer Privatausbildung durch Repetitorien reichen bis ins späte Mittelalter zurück (Martin, Juristische Repetitorien und staatliches Ausbildungsmonopol in der Bundesrepublik Deutschland, 1993, S. 163; vgl. zur geschichtlichen Entwicklung des juristischen Privatunterrichts auch Lueg, Die Entstehung und Entwicklung des juristischen Privatunterrichts in den Repetitorien, 1994, S. 12 ff.). In den Statuten von Angers von 1493 wurden sog. Pedagogi erwähnt, die die Studierenden privat unterrichten (Martin, Juristische Repetitorien und staatliches Ausbildungsmonopol in der Bundesrepublik Deutschland, 1993, S. 163). Gründe für den Besuch privater Repetitorien waren schon vor 50 Jahren zahlreich: In einer im Jahr 1977 durchgeführten Fragebogenaktion der Universität Tübingen gaben Examenskandidatinnen und- kandidaten des Fachbereichs Rechtswissenschaft an, dass der Examensstoff durch die Universität (damals) nicht lückenlos abgedeckt werde. Außerdem werde der Stoff didaktisch nicht geschickt genug vermittelt. Gerade bezüglich der Anwendung des Stoffs an Fällen würden die Kandidatinnen und Kandidaten allein gelassen (Martin, Juristische Repetitorien und staatliches Ausbildungsmonopol in der Bundesrepublik Deutschland, 1993, S. 104).
Inzwischen existieren zwei Kategorien kommerzieller Repetitorien: Zum einen die reinen Online-Repetitorien, die ausschließlich online zu jedem beliebigen Zeitpunkt genutzt werden können und bei denen kein direkter Kontakt zur Lehrperson besteht.
Daneben stehen die „klassischen“ kommerziellen Repetitorien, die ihre Veranstaltungen überwiegend in Präsenz anbieten. Aufgrund des technischen Fortschritts und v. a. seit der Corona-Pandemie werden die Angebote aber auch häufig übertragen, sodass eine Teilnahme von zu Hause oder von einem anderen beliebigen Ort aus möglich ist.
2. Online-Lernplattformen
Große Lernplattformen, die ausschließlich online genutzt werden können, sind jedenfalls Jura Online, JurAcademy, Lecturio und Jurafuchs. Die ersten drei Anbieter stellen insbesondere Online-Lernvideos bereit. Jurafuchs hingegen ist als Lern-App konzipiert.
a) Online-Lernvideos oder Skripte als Kernbestandteil
Die Lernplattformen arbeiten mit Videos und/oder Skripten, setzen aber beim Material andere Schwerpunkte. Bei Jura Online steht ein Lernvideo im Vordergrund jeder Lerneinheit. Die Videos haben jeweils eine Länge von ca. 5-8 Minuten. Dazu gibt es ein ausformuliertes Skript, das einen Überblick über das Thema vermittelt. An jedes Video schließen sich Testfragen an, die die Studierenden aktiv beantworten müssen.
Lecturio stellt auch Videos bereit, die allerdings nicht explizit für das Online-Repetitorium konzipiert worden sind. Vielmehr werden aufgezeichnete Veranstaltungen eines Präsenzrepetitoriums aus Frankfurt online bereitgestellt. Lecturio bietet ebenfalls interaktive Quizfragen an, um das Wissen zu festigen.
Beim Angebot von JurAcademy liegt ein größerer Fokus auf den Online-Skripten, die den gesamten Examensstoff vermitteln. Den eigenen Wissensstand kann man dabei anhand von zahlreichen Testfragen überprüfen. Ergänzend werden besonders schwierige und examensrelevante Probleme in kurzen Videos erklärt.
b) Klausurenkurse
Jura Online und JurAcademy bieten außerdem einen Klausurenkurs an, in dem Studierende in regelmäßigen Zeitabständen Klausuren zur Bearbeitung erhalten, die dann korrigiert werden.
c) Zusatzangebote
Als Zusatzangebot vermitteln die Anbieter Jura Online, JurAcademy und Lecturio aktuelle Rechtsprechung entweder mithilfe von Videos oder über eine Online-Zeitschrift. Auch zu Lerntechniken oder Stressmanagement werden bei JuraOnline und Lecturio Videos bereitgestellt. Individuell kann in der Regel bei den Online-Plattformen jedoch nicht auf die Studierenden eingegangen werden.
d) Jurafuchs
Die App Jurafuchs ist nicht speziell für die Examensvorbereitung konzipiert. Da die Inhalte in sehr kleine Einheiten aufgeteilt sind, ist es eher schwer vorstellbar, dass sich Studierende ausschließlich mit Jurafuchs auf ihr Examen vorbereiten. Zur niedrigschwelligen Wissenswiederholung oder auch zum Einstieg in ein Rechtsgebiet könnte Jurafuchs eine Ergänzung zur Examensvorbereitung darstellen. Vor allem für die kurze und knappe Beschäftigung mit aktueller Rechtsprechung kann ein Einsatz interessant sein.
Jurafuchs präsentiert den Nutzerinnen und Nutzern entweder abstrakte Fragen, hauptsächlich aber kleine, in der Regel nur wenige Sätze lange Fälle mit kurzen Fragen, zu denen die Nutzerinnen und Nutzer aus mehreren vorgegebenen Antworten die richtigen auswählen sollen.
Feedback inklusive umfassenderer Ausführungen zum Thema erfolgt sofort. Gesetzestexte sind verlinkt. Über ein Forum können Fragen gestellt oder sonstiges Feedback, etwa zu anderen Lösungsansätzen, gegeben werden. Das Team von Jurafuchs beantwortet die Fragen und Anmerkungen der Nutzerinnen und Nutzer und kann so insbesondere auch Fehler korrigieren. Ebenso können andere User der App im Forum mitdiskutieren.
Das Besondere an Jurafuchs ist die sog. Gamification, der an ein Computerspiel erinnernde Charakter. So kann man etwa einstellen, jeden Tag per Push-Benachrichtigung an seine tägliche Lerneinheit erinnert zu werden. Schafft man die tägliche Lerneinheit mit mindestens 20 Fragen mehrere Tage in Folge, setzt man seinen „Streak“, also seine Lernreihe, fort. Die Nutzerinnen und Nutzer der App können zudem sehen, wie ihre „Performance“ an den einzelnen Tagen war, d. h. wie viele Fragen sie richtig beantwortet haben und wie viel Prozent einer Einheit sie schon geschafft haben.
Der spielerische Charakter der App geht einher mit der Gefahr, dass Lernende den tatsächlichen Lernzweck der App aus den Augen verlieren, sondern vor allem ihren Streak verlängern möchten und sich deshalb schnell durch die – oft eher einfachen – Aufgaben durchklicken (zur ausführlichen Untersuchung der App Jurafuchs s. Vasel, ZDRW 2023, 239). Wie effektiv die App zum tatsächlichen Lernerfolg beiträgt, ist wie bei anderen Formaten auch letztlich abhängig von der Motivation der Nutzinnen und Nutzer.
Fünf Universitäten, die den Studiengang Rechtswissenschaften mit dem Ziel Erstes Staatsexamen anbieten, nutzen Jurafuchs im Rahmen universitärer Veranstaltungen. Studierende können die App kostenfrei als Ergänzung zur universitären Vorbereitung nutzen (zum Einsatz von Jurafuchs in den universitären Programmen s. Towfigh/Gleixner, ZDRW 2023, 106). 35-40% der Nutzerinnen und Nutzer der Hochschulpartner befinden sich nach Aussage von Jurafuchs in der Examensvorbereitung.
3. Präsenz- und digitale Repetitorien
Die wohl bekanntesten kommerziellen Repetitorien, die sowohl vor Ort als auch digital „live“ unterrichten, sind Hemmer und Alpmann Schmidt; außerdem die Kiss Akademie (Standorte in Hamburg und Berlin), Jura Intensiv und die Akademie Kraatz. Die Programme der Repetitorien finden durchgängig auch in den Semesterferien statt. Es gibt auch Angebote, die nur ein halbes Jahr dauern. Schon wegen der veränderlichen Angebotssituation wird hier kein Anspruch auf Vollständigkeit bei der Nennung erhoben.
a) Hauptkurse oder Einzelunterricht
Hemmer, Alpmann Schmidt, Kiss und Jura Intensiv bieten Hauptkurse an, die überwiegend fallorientiert aufgebaut sind. Die Veranstaltungen finden zwischen zwei- bis viermal pro Woche statt und dauern zwischen 120–180 min. Unterrichtet werden die Kurse häufig von erfahrenen Praktikerinnen und Praktikern. Soll das Repetitorium in nur einem halben Jahr absolviert werden, nehmen die Teilnehmenden an deutlich mehr Kursen pro Woche Teil. Hemmer spricht hier z.B. von einer „Doppelbelegung“, bei der statt drei Terminen in der Woche sechs Termine wahrgenommen werden.
Die Besonderheit der Akademie Kraatz liegt darin, dass ausschließlich Einzelunterricht und Unterricht in kleinen Gruppen mit einer Größe von 10-14 Personen angeboten werden. Aber auch bei den anderen Anbietern kann Einzelunterricht oder Minigruppenunterricht (2-5 Teilnehmer) gebucht werden.
Alle Anbieter stellen Fälle mit Lösungen und Skripten zur Verfügung.
b) Crashkurse
Jedenfalls die vier Anbieter Hemmer, Alpmann Schmidt, Kiss und Jura Intensiv haben zudem Crashkurse in ihrem Programm, in denen der aus Sicht der Anbieter wichtigste Examensstoff kompakt wiederholt wird. Zum Teil handelt es sich um Präsenz-, zum Teil um Onlineangebote. Meist finden die Kurse an Wochenenden an ein bis drei Tagen statt. Teilweise ist auch die Buchung einzelner Rechtsgebiete möglich.
c) Klausurenkurse
Die größeren Anbieter (Hemmer, Alpmann Schmidt, Kiss Akademie, Jura Intensiv) bieten ein bis zwei Klausuren im Klausurenkurs pro Woche an. Zum Teil werden die Klausuren noch am selben Tag korrigiert, so z. B. bei Hemmer (vgl. das Angebot für Hemmer in Hamburg) und der Kiss Akademie (vgl. das Angebot der Kiss Akademie in Hamburg). Bei Hemmer und bei der Kiss Akademie finden auch die Besprechungen noch am selben Tag abends statt.
d) Zusatzangebote
Aktuelle Rechtsprechung als Zusatzangebot wird größtenteils in Zeitschriften klausurtypisch aufbereitet, die gegen Entgelt erworben werden können. Die Akademie Kraatz veröffentlicht frei zugängliche Blogbeiträge, in denen aktuelle Rechtsprechung überblicksartig dargestellt und auf mögliche Probleme oder Klausurkonstellationen hingewiesen wird.
X. Zusammenfassung
Die obige Bestandsaufnahme zeigt: Anders als früher, als die Universitäten über lange Zeit das Feld der Examensvorbereitung weitgehend den privaten Repetitorien überlassen haben, bieten die juristischen Fakultäten längst „Vollprogramme“ zur juristischen Examensvorbereitung an, die in aller Regel auch in der vorlesungsfreien Zeit (Semesterferien) fortgeführt werden. Die universitären Examensvorbereitungsprogramme brauchen sich also keineswegs (mehr) vor den kommerziellen Repetitorien zu verstecken, sondern umfassen teilweise sogar vielfältigere Angebote als die private „Konkurrenz“. Im Kern bieten beide „Anbietergruppen“ in aller Regel einen Hauptkurs und einen Klausurenkurs an. Hervorzuheben bei den universitären Angeboten ist das Passauer Konzept der Lehrprofessuren für die Examensvorbereitung, das eine abgestimmte Examensvorbereitung „aus einem Guss“ gewährleistet. An den meisten anderen Universitäten bleibt die inhaltliche Ausgestaltung dagegen überwiegend den Lehrpersonen vorbehalten, wobei es immerhin an etwa der Hälfte der Einrichtungen zumindest Fachsäulenkoordinatoren und im Übrigen einfache Absprachen gibt. Aus studentischer Sicht wird in dieser Hinsicht aber immer noch ein Stück weit der Vorteil bei den kommerziellen Anbietern mit ihrem umfassend abgestimmten Angebot gesehen werden.
In etwa der Hälfte der universitären Kurse gibt es begleitende Skripten und ungefähr in gleicher Größenordnung schriftliche Lösungsvorschläge zu den behandelten Fällen, was zumindest aus studentischer Sicht sicherlich noch steigerungsfähig wäre. Daher könnte auch das angebotene Lernmaterial ein Grund für den weiterhin erheblichen Zulauf bei den kostenpflichtigen privaten Repetitorien sein.
Bemerkenswert ist weiter, dass trotz der im Zuge der „Corona-Restriktionen“ erfolgten digitalen Ausrüstung vieler Räume an den Universitäten weiter/wieder ganz überwiegend auf reine Präsenzangebote bei den Kernlehrveranstaltungen gesetzt wird (nur ca. 20 % der Fakultäten machen auch hybride Angebote). Auch hier besteht offensichtlich ein Unterschied zur privaten Konkurrenz, die sicherlich schon aus Kostengründen zunehmend auf Online-Angebote setzt – bis hin zu reinen Online-Anbietern mit ihren digitalen Lernplattformen. Aber auch die Fakultäten setzen jedenfalls begleitend zunehmend auf digitale Zusatzangebote, insbesondere Video-Lehrformate (ca. 20 % bieten das an). Die bei den privaten Repetitorien erfahrungsgemäß viel besuchten „Crashkurse“ kurz vor dem Examen werden zunehmend auch von den Fakultäten aufgegriffen und mittlerweile von fast einem Viertel angeboten. Auch für eine Gruppe mit besonderem Bedarf, die Wiederholer, gibt es inzwischen, wenn auch eher noch selten, besondere Programme (Angebote von gut 15 % der Fakultäten).
In den Examensübungs-Klausurenkursen werden auch von den Universitäten praktisch durchweg Korrekturen und Lösungsskizzen angeboten sowie ganz überwiegend auch mündliche Besprechungen. Vereinzelt gibt es mittlerweile auch Videokorrekturen sowie „studentische Musterlösungen“. An allen Fakultäten werden auch Original-Klausuren gestellt, an etwa 40 % der Einrichtungen sogar ausschließlich oder überwiegend. Didaktisch besonders wertvoll erscheinen Klausurenkurse, die durch ihre Organisation sicherstellen, dass die Examensthemen möglichst umfassend abgedeckt werden. Hier ist beispielsweise der „Kölner Klausurenkurs“ mit einer eigenen Organisationseinheit zu nennen.
Mittlerweile bieten auch über 90 % der Fakultäten jeweils Probeexamina und mündliche Prüfungssimulationen an. Etwa drei Viertel der Hochschulen machen zudem – recht unterschiedliche – Angebote zur Aufbereitung aktueller Rechtsprechung, teilweise online wie etwa im digitalen Fallbuch der Bucerius Law School Hamburg. Hinzu kommen bei gut 20 % der universitären Anbieter besondere Veranstaltungen zum Klausurtraining mit methodischem Fokus, insbesondere „Klausurwerkstätten“, selten demgegenüber – wohl wegen des erheblichen Ressourcenaufwands – Fallbesprechungen in Kleingruppen (Arbeitsgemeinschaften in der Examensphase). Bei der Vermittlung studentischer Lerngruppen werden knapp ein Viertel der Fakultäten unterstützend tätig. Immer mehr Fakultäten (inzwischen beachtliche 55 %) bieten auch klausurbezogene individuelle Beratungen an – meist „Klausurenklinik“ genannt –, die wegen der begrenzten Ressourcen aber oft stark kontingentiert werden. Und Mental-Health-Coaching, ähnliche Beratungsangebote oder entsprechende Workshops stellen inzwischen über 30 % der Universitäten zur Verfügung.
XI. Ausblick
1. Handlungsempfehlungen
Die universitären Repetitorien sind auf dem Vormarsch und gerade – aber nicht nur – die Leuchtturmprojekte zeigen, dass Examensvorbereitung praktisch flächendeckend in hoher Qualität angeboten wird. Studierende können sich daher noch stärker trauen, diese Angebote in Anspruch zu nehmen, statt vielleicht aus Tradition oder Angst auf privat-kommerzielle Repetitorien auszuweichen.
Auffällig ist aber auch, dass deutliche Unterschiede zwischen den Einrichtungen bestehen, vor allem was das zur Verfügung gestellte Material angeht. Für Studierende ist es aber gerade in einer so anstrengenden Zeit wie der Examensvorbereitung sehr wertvoll, umfassendes und verlässliches Material zur Verfügung gestellt zu bekommen und nicht zu viel zusätzliche Zeit und Energie in die Materialsuche investieren zu müssen. Dieses Problem könnte durch stärkere Vernetzung der Universtäten gelöst werden. Es ist nicht notwendig und schon gar nicht wirtschaftlich, dass Akteure von 43 Universitäten wöchentlich eine oder mehr Examensübungsklausuren erstellen oder zu jedem Thema aufwändige Skripte, Kursfälle und digitale Angebote produzieren. Könnten Lehrende bei der Materialerstellung Zeit sparen, könnten Sie diese etwa in den Unterricht mit den Studierenden investieren, der sich dann möglicherweise individueller gestalten ließe. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung stellt die Kooperation der Universität Münster mit ihren Partnern über ihre Lernplattform „unirep-online“ dar (s. III.1.e.).
Politisch könnte der Kooperationsprozess unterstützt werden, indem Fördergelder gerade für nachhaltige universitäre Gemeinschaftsprojekte ausgeschrieben werden. Insbesondere könnte Unterstützung auch für den Ausbau und die Verbesserung vielversprechender Angebote erfolgen, statt wie vielfach üblich nur gänzlich neue Projekte zu finanzieren, die dann häufig nach Ablauf der Förderung mangels Ressourcen eingestellt werden müssen.
2. Weiterführende Untersuchungen
Der vorliegende Beitrag hat quantitativ untersucht, was in der Examensvorbereitung angeboten wird. Nicht beleuchtet wurde, welche Angebote die Studierenden tatsächlich in Anspruch nehmen und von welchen sie am meisten profitieren. Interessant wäre insbesondere, ob Zusammenhänge von bestimmten Examensvorbereitungsprogrammen und Examensnoten vorliegen.
Außerdem wurden digitale Angebote nur am Rande betrachtet. Es ist zu erwarten, dass sowohl die Universitäten als auch die kommerziellen Repetitorien diese Angebote ausbauen werden, so dass diesbezüglich Anschlussuntersuchungen wünschenswert sind. Dabei sollte vor allem der Frage nachgegangen werden, ob digitale Angebote über die Bereitstellung von Material hinausgehen und Interaktivität, Individualisierung und Datenanalysen beinhalten. Darüber hinaus sollte untersucht werden, ob es gelingt, nicht lediglich Faktenwissen darzustellen, sondern auch zum reflektierten und methodischen Arbeiten und Lernen anzuhalten.
Auch der wirtschaftliche Aspekt sollte näher betrachtet werden. Wieviel Geld investieren Universitäten in der Examensvorbereitungsprogramme und welches Sparpotential könnte sich aus Kooperationen ergeben?