Die Didaktik der Rechtswissenschaft ist ein stetig wachsendes Forschungsgebiet im Spannungsfeld von allmählicher wissenschaftlicher Durchdringung und teils hitziger Reformdiskussion. Dafür sind belastbare empirische Erkenntnisse besonders wichtig, um beurteilen zu können, welche didaktischen Innovationen hilfreich sind, wo Verbesserungspotentiale bestehen und wie die juristische Ausbildung wirklich „funktioniert“. Ein R|E Online-Symposium widmet sich diesen Fragen und lässt im Verlauf mehrerer Monate Wissenschaftler:innen aller Karrierestufen zu Wort kommen. (Red.)
In meinem Beitrag möchte ich aus Perspektive der empirischen Hochschulbildungsforschung auf die empirische Rechtsdidaktik blicken und Möglichkeiten skizzieren, die sich aus dieser Perspektive ergeben. Die Hochschulbildungsforschung ist aus meiner Sicht dadurch gekennzeichnet, dass sie einen allgemeinen Blick auf das Lehren und Lernen an Hochschulen wirft, dabei zwar häufiger einzelne Disziplinen beispielhaft genauer beleuchtet, disziplininterne Diskussionen über didaktische Fragen aber nicht einbezieht. Vor diesem Hintergrund lasse ich auch im Folgenden die verschiedenen rechtsdidaktischen Publikationen, wie in der Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft oder das Handbuch der juristischen Fachdidaktik „Rechtswissenschaft lehren“ (Krüper, 2022) außen vor und gehe davon aus, dass sie weitgehend bekannt sind. Auch in diesem Online-Symposium finden sich beeindruckende Beispiele für Projekte der empirischen Rechtsdidaktik.
Die Disziplinen, die durch die Hochschulbildungsforschung konkret untersucht werden, sind sehr unterschiedlich. Hier finden sich u.a. benachbarte Disziplinen wie die Psychologie, aber zum Beispiel auch MINT-Fächer. Auffällig selten werden rechtswissenschaftliche Studiengänge in den Blick genommen: In den verfügbaren Dokumentationen der bildungswissenschaftlichen, hochschuldidaktischen und Hochschulforschungstagungen der letzten 10 Jahren finden sich keine Bezüge zur Rechtswissenschaft. In den einschlägigen deutschsprachigen Zeitschriften gibt es zwar hin und wieder Analysen, die nach Fachunterschieden schauen und dabei die Rechtswissenschaft einschließen. Meist werden diese dann aber mit den Wirtschaftswissenschaften zusammengenommen (z.B. bei Roepke et al., 2019) oder stellen weniger als 3% der Stichprobe (z.B. bei Lübeck, 2010).
Dabei gibt es in rechtswissenschaftlichen Studiengängen durchaus auch spezifische Herausforderungen, die es sich zu analysieren lohnt. Da ich davon ausgehe, dass es über die vorhandene Forschung im Bereich der Rechtsdidaktik hinaus weiteren Bedarf gibt, möchte ich im Folgenden beschreiben, was ich für andere Disziplinen beobachte und was ich mir ähnlich auch für Forschung zum rechtswissenschaftlichen Studium vorstellen kann. Besonders eingehen möchte ich dabei auf Forschung zu Lehramts- und Medizinstudiengängen. Beide werden als Professionsstudiengänge regelmäßig zusammen mit rechtswissenschaftlichen Studiengängen betrachtet (Breetzke et al., 2023), zu beiden gibt es – im Gegensatz zu rechtswissenschaftlichen Studiengängen – aber viel Forschung aus allgemeiner Hochschulbildungsperspektive.
Im Folgenden werde ich genauer auf drei Möglichkeiten eingehen, die ich für das Lehramt oder die Medizin beobachte und die möglicherweise auch für die Rechtsdidaktik Anregung enthalten könnte: 1) Forschungsprogramme, 2) Programme zur Unterstützung von Reformen, 3) Scholarship of Teaching and Learning (SoTL).
Zu 1: Forschungsprogramme
In den letzten Jahrzehnten hat die Lehrkräfteforschung große Fortschritte gemacht und konnte sich als eigener Forschungsbereich neben der Hochschulbildungsforschung etablieren. Einen nicht unerheblichen Anteil an dieser Etablierung haben sicherlich die groß angelegten Studien, die in diesem Kontext durchgeführt wurden. Ich möchte hier vor allem die beiden von der DFG finanzierten Forschungsprogramme COACTIV und TEDS-M vorstellen.
Das Forschungsprogramm „Professionswissen von Lehrkräften, kognitiv aktivierender Mathematikunterricht und die Entwicklung mathematischer Kompetenz“ (COACTIV; Kunter et al., 2011) untersuchte im Rahmen der PISA-Studien die Kompetenz von Lehrkräften. Dabei wurde unter anderem den Fragen nachgegangen, aus welchen Merkmalen sich die Kompetenz zusammensetzt, welche Auswirkungen diese Merkmale auf das unterrichtliche Handeln der Lehrkraft hat und wie sich Unterschiede zwischen Lehrkräften erklären lassen. Zu den wichtigsten Ergebnissen des Projekts gehören sicherlich das COACTIV-Kompetenzmodell (Baumert & Kunter, 2011), aber auch das Modell zur Erklärung der Entwicklung der Kompetenz (Kunter et al., 2011).
Bei TEDS-M (Teacher Education and Development Study, Blömeke et al., 2010a, 2010b) stehen hingegen die angehenden Mathematiklehrkräfte im Fokus. Hier wurde untersucht, welchen Einfluss Bedingungen der Lehrerausbildung auf den Erwerb von professioneller Kompetenz haben. Insgesamt wurden in 17 Ländern Lehramtsstudierende untersucht, so dass internationale Vergleiche möglich wurden.
Auch für rechtswissenschaftliche Studiengänge könnten solche groß angelegten Forschungsprogramme zu weiteren Ergebnissen führen. So könnten empirisch gewonnene oder bestätigte Kompetenzmodelle die Grundlage für die Untersuchung der Kompetenzentwicklung während des Studiums und handlungsleitend für Studiengangsreformen sein. Allerdings sind solche Projekte natürlich sehr voraussetzungsreich und brauchen eine gute Ausstattung. Auch kleinere Projekte, z.B. durch Sachbeihilfen der DFG finanziert, könnten hier interessant sein. Ein passendes Fachkollegium wäre das zu allgemeinem und fachbezogenem Lehren und Lernen, dem auch die empirische Rechtsdidaktik zugeordnet werden könnte. Zumindest mit einem oberflächlichen Scannen der geförderten Projekte der letzten zehn Jahre ist mir kein Projekt zum rechtswissenschaftlichen Studium, einige aber zu anderen Fächern, wie Chemie, zum Lehramts- und Medizinstudium aufgefallen.
Innerhalb solcher kleineren Projekte erscheinen mir aus Perspektive der Rechtswissenschaft besonders die Projekte interessant, die simulationsbasierte Lernumgebungen genauer untersuchen und vielleicht auch Anregungen für die Untersuchung simulationsbasierter Lernumgebungen geben können, die in der Rechtswissenschaft genutzt werden (ich denke an Moot Courts oder Law Clinics). Beispielhaft genannt werden kann hier Forschung zur Simulation des ersten Tags im Krankenhaus oder Forschung zu einer gamebasierten Lernumgebung für Lehramtsstudierende.
Zu 2: Programme zur Unterstützung von Reformen
Einen weiteren Aufschwung hat die Forschung zur Lehrkräftebildung durch die von Bund und Ländern 2013 beschlossene „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ genommen. Diese lief von 2015 bis Ende 2023 und wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 500 Mio. Euro gefördert, um Reformen in der Lehrkräftebildung zu unterstützen. In den einzelnen Projekten waren jeweils weite Teile einer Universität eingebunden und in verschiedenen Teilprojekten wurden innovative Ideen zur Verbesserung der Lehramtsstudiengänge umgesetzt. Diese praktische Umsetzung wurde meist auch empirisch begleitet, so dass das Programm auch zu Promotionen und Publikationen in dem Bereich beigetragen hat.
Nicht nur auf die Lehrkräftebildung bezogen, sondern auf die Entwicklung von Lehre an Hochschulen in Deutschland allgemein war das Bund-Länder-Programm für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre, das von 2011 bis 2020 mit insgesamt zwei Milliarden Euro vom BMBF gefördert wurde. Auch hier wurden jeweils Anträge von Hochschulen gestellt, die viele Teilprojekte unter einem Dach versammelt haben. Auch in diesen Projekten ging es in erster Linie um die Umsetzung innovativer Ideen zur Verbesserung des Studiums. Insbesondere in den Bildungswissenschaften wurden die Projekte aber auch dazu genutzt, Grundlage für Promotionen zu bieten (in diesem Rahmen ist auch meine eigene Dissertation entstanden) und die Hochschulbildungsforschung voranzubringen.
Inwiefern dies auch für Projekte aus der Rechtswissenschaft gilt, ist mir nicht bekannt. Ich möchte aber ein Beispiel bringen, wie eine Begleitforschung auch in der Rechtsdidaktik aussehen könnte: Ein typisches Projekt im Rahmen von QPL war die Entwicklung von Online-Self-Assessements. Online-Self-Assessments sind Kombinationen aus Fragebögen und automatisiertem Feedback und wurden zum Beispiel für die Rechtswissenschaft in Hamburg entwickelt oder für das Lehramt in Paderborn (Bohndick & Kohlmeyer, 2016). Online-Self-Assessments sind aus Perspektive der Didaktikempirie aus zwei Gründen besonders interessant: Zum einen dienen sie der Verbesserung des Studiums, indem sie Studierenden eine Rückmeldung über ihre Passung zum Studium und mögliche Weiterentwicklungschancen geben. Zum anderen werden über die Teilnahme an den Fragebögen auch direkt Daten erhoben, mit denen Aussagen über den aktuellen Status von Studierenden und Studieninteressierten getroffen werden können. Solche Umsetzungen wären für die Rechtsdidaktik – eventuell auch in Kooperation mit der Hochschulbildungsforschung – ebenfalls denkbar.
Zusätzlich zur allgemeinen QPL-Förderlinie gab es noch eine Begleitforschungslinie, in der zumindest bei einigen Projekten rechtswissenschaftliche Studiengänge einbezogen waren, wie z.B. im Projekt StuFHe, das sich mit der Förderung von Studierfähigkeit auseinandergesetzt hat.
Zu 3: Scholarship of Teaching and Learning:
Während die zuvor genannten Bereiche ausreichende Förderung voraussetzen, soll dieser letzte Abschnitt eine Idee vorstellen, die sich auch im Alltag mit der Lehre verbinden lässt und aktuell in der Hochschulbildungsforschung zum einen aus der Umsetzungsperspektive, zum anderen aber auch aus einer begleitenden Perspektive viel diskutiert wird: Der Begriff Scholarship of Teaching and Learning wurde von Boyer (1990) geprägt und wird heute sehr unterschiedlich verstanden (Fanghanel et al., 2016). Gemeinsam ist den unterschiedlichen Verständnissen aber, dass es darum geht, dass Lehrende ihre eigene Lehre beforschen. Dies kann auf unterschiedliche Weise (und auch mit unterschiedlichem Anspruch) passieren, häufig werden sozialwissenschaftliche Methoden genutzt, um Fragestellungen zur eigenen Lehre zu beantworten, wie z.B. ob Studierende eine bestimmte Lehrmethode annehmen. Zur Beantwortung können unterschiedliche Daten herangezogen werden. Es wäre zum Beispiel denkbar, die Ergebnisse von Lehrveranstaltungsevaluationen zu nutzen. Mit SoTL sind verschiedene Erwartungen verbunden, etwa mehr Anerkennung für die Lehre, Weiterentwicklung des Fachs, Intensivierung des Austauschs zwischen Lehrenden.
Erste Ansatzpunkte für eigene SoTL-Forschung bieten die meisten hochschuldidaktischen Einrichtungen. An der Universität Hamburg gibt es beispielsweise den Studiengang „Master Higher Education“, der ein guter Start sein kann, sich forschungsbasiert mit der eigenen Lehre zu befassen. Dieser Studiengang ist auch für Lehrende anderer Hochschulen offen. Weitere Informationen finden sich hier. Aber auch im Rahmen der hochschuldidaktischen Weiterbildung gibt es an vielen Universitäten die Möglichkeit, in eigenen SoTL-Aktivitäten unterstützt zu werden. An der Uni Hamburg wird dazu zum Beispiel aktuell ein Zertifikat aufgebaut.
Fazit
Es wurden verschiedene Möglichkeiten dargestellt, empirische Hochschulbildungsforschung zu nutzen, um Inspiration für die empirische Rechtsdidaktik zu gewinnen. Und vielleicht gibt es ja auch die Möglichkeit, einzelne Ansätze gemeinsam weiterzuentwickeln. Ich fände es beispielsweise besonders interessant, wenn in SoTL-Projekten häufiger die eigene Forschungsexpertise genutzt werden würde, um die eigene Lehre zu beforschen (und nicht immer sozialwissenschaftliche Methoden zum Einsatz kämen). Gemeinsam mit Kollegen aus Bergen, Bochum und Paderborn arbeite ich gerade an einem Sammelband, der hierzu verschiedene Beispiele darstellt und voraussichtlich im nächsten Jahr erscheint. In diesem Sammelband wird allerdings kein rechtswissenschaftliches Beispiel vertreten sein. Ein erster Schritt wäre hier, dass man Fragestellungen in den Blick nimmt, die einer Rechtswissenschaftlerin in Bezug auf ihre Lehre als erstes in den Sinn kommen und nicht so sehr eine Orientierung an sozialwissenschaftlicher Forschung erfolgt. Sollte jemand Interesse haben, an dieser Idee gemeinsam mit mir weiterzuarbeiten, würde ich mich über eine Kontaktaufnahme sehr freuen.
Literatur
Baumert, J., & Kunter, M. (2011). Das Kompetenzmodell in COACTIV. In M. Kunter, J. Baumert, W. Blum, U. Klusmann, S. Krauss, & M. Neubrand (Eds.), Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV (pp. 29–53). Waxmann.
Blömeke, S., Kaiser, G. & Lehmann, R. (Hrsg.) (2010a). TEDS-M 2008 – Professionelle Kompetenz und Lerngelegenheiten angehender Primarstufenlehrkräfte im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann.
Blömeke, S., Kaiser, G. & Lehmann, R. (Hrsg.) (2010b). TEDS-M 2008. Professionelle Kompetenz und Lerngelegenheiten angehender Mathematiklehrkräfte für die Sekundarstufe I im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann.
Bohndick, C., & Kohlmeyer, S. (2016). Der LehramtsNavi der Universität Paderborn zur Identifizierung und Weiterentwicklung überfachlicher Kompetenzen von Lehramtsstudierenden. Eignung für den Lehrerberuf: Auswahl und Förderung, 215-228.
Boyer, E. L. (1990). Scholarship reconsidered: Priorities of the professoriate. Princeton, NJ, USA: Princeton University Press.
Breetzke, J., Özbagci, D., & Bohndick, C. (2023). “Why are we learning this?!” — Investigating students’ subjective study values across different disciplines. Higher Education. Advance online publication. https://doi.org/10.1007/s10734-023-01075-z
Fanghanel, J., McGowan, S., Parker, P., McConnell, C., Potter, J., Locke, W., & Healey, M. (2016). Literature Review. Defining and supporting the Scholarship of Teaching and Learning (SoTL): a sector-wide study.
Krüper, J. (2022). Rechtswissenschaft lehren: Handbuch der juristischen Fachdidaktik. Mohr Siebeck.
Kunter, M., Baumert, J., Blum, W., Klusmann, U., Krauss, S., & Neubrand, M. (Eds.). (2011). Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV. Waxmann.
Kunter, M., Kleickmann, T., Klusmann, U., & Richter, D. (2011). Die Entwicklung professioneller Kompetenz von Lehrkräften. In M. Kunter, J. Baumert, W. Blum, U. Klusmann, S. Krauss, & M. Neubrand (Eds.), Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV (pp. 55–68). Waxmann.
Lübeck, D. (2010). Wird fachspezifisch unterschiedlich gelehrt? Empirische Befunde zu hochschulischen Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen. Zeitschrift für Hochschulentwicklung.
Roepke, A. L., Bochmann, R., Reiher, M., & Rindermann, H. (2019). Vorlesungen heute: eine Studie zum fachkulturellen Zusammenhang zwischen Lehrmethoden in Vorlesungen und Lehransätzen von Dozierenden. Die Hochschullehre, 5, 474-500.