Aussterben des Nachwuchses an Richter*innen und Anwält*innen – Eine empirische Analyse Online-Symposium »Rechtsdidaktik – Was wissen wir darüber; was wirkt?«

Die Didaktik der Rechtswissenschaft ist ein stetig wachsendes Forschungsgebiet im Spannungsfeld von allmählicher wissenschaftlicher Durchdringung und teils hitziger Reformdiskussion. Dafür sind belastbare empirische Erkenntnisse besonders wichtig, um beurteilen zu können, welche didaktischen Innovationen hilfreich sind, wo Verbesserungspotentiale bestehen und wie die juristische Ausbildung wirklich „funktioniert“. Ein R|E Online-Symposium widmet sich diesen Fragen und lässt im Verlauf mehrerer Monate Wissenschaftler:innen aller Karrierestufen zu Wort kommen. (Red.)

Seit geraumer Zeit wird nun schon in der Rechtsdidaktik über eine grundlegende Reform der Jurist*innenausbildung diskutiert. Basis dieser Diskussion ist oftmals die Annahme, dass sich angeblich immer weniger Studierende für das Jurastudium entscheiden und dieses auch erfolgreich abschließen. Die Folge dieses Phänomens sei, dass die Justiz und auch die Kanzleien kaum noch Nachwuchs an Jurist*innen fänden. Das deutsche Justizwesen stünde vor einer anrollenden Pensionswelle in einer Zeit, in der immer weniger neue Volljurist*innen auf den Arbeitsmarkt strömten.1 Gleichzeitig gibt es aber auch Stimmen, die behaupten, dass es weiterhin genug Bewerber*innen auf dem Arbeitsmarkt gäbe und sich, in den letzten fünf Jahren zumindest, durchgängig mindestens zwei Bewerber*innen pro Stelle in der Justiz gefunden hätten.2

In diesem Beitrag geht es jedoch nicht darum, eine Position in dieser Debatte zu beziehen, ob nun eine Reform des rechtswissenschaftlichen Studiums notwendig ist oder nicht, sondern darum, eine solide empirische Grundlage zu schaffen, mit deren Hilfe eine differenzierte Diskussion über diese Reformfrage möglich ist.

Dafür werden hauptsächlich die Statistiken des Bundesamtes für Justiz (BfJ) und des Statistischen Bundesamts herangezogen und analysiert. Die Statistiken des Statistischen Bundesamtes, die in diesem Beitrag näher erläutert werden, basieren auf Verwaltungsdaten der deutschen Hochschulen, die diese selbst für administrative Zwecke erhoben haben. Im Rahmen der Statistiken des Bundesamtes für Justiz wurden für diesen Beitrag Daten der veröffentlichten Justizstatistik und der Jurist*innenausbildung in den Jahren 2001 bis 2021 ausgewertet. Das BfJ betreut und veröffentlicht jedes Jahr eine deutschlandweite fachspezifische Einzelstatistik außerhalb der koordinierten Landesstatistiken mit Angaben zur Anzahl der Personen, die das Erste oder Zweite Staatsexamen3 (erfolgreich) abgelegt haben, zu den Noten im Ersten und Zweiten Staatsexamen und zur Anzahl der Rechtsreferendar*innen. Diese Daten stammen von den Justizprüfungsämtern der einzelnen Länder, die zu einer Bundesübersicht von dem BfJ zusammengefasst werden. In Bezug auf die Angaben zum Ersten Staatsexamen wurde in diesem Beitrag nur der staatliche Teil, ohne den universitären Teil des Schwerpunktbereichs, in der Analyse berücksichtigt. Da sich die veröffentlichten Statistiken des BfJ ausschließlich auf einzelne Jahre beziehen und keine Verweise auf vorherige Jahre beinhalten, liegt der Fokus dieses Beitrags insbesondere darauf, diese Angaben in einen direkten Jahresvergleich zu setzen, um damit eine Entwicklung der Daten von 2001 bis 2021 aufzuzeigen, die hoffentlich zur oben genannten Debatte beitragen kann.

Die empirische Analyse der Statistik gliedert sich in vier Schwerpunkte. Der erste Teil fokussiert sich auf die Zahl der Studienanfänger*innen insgesamt und spezifisch in der Rechtswissenschaft (I.). Hierbei werden auch die Angaben des Statistischen Bundesamtes herangezogen. Im zweiten Teil wird die Zahl der Personen, die das Erste Staatsexamen (erfolgreich) ablegen, analysiert (II.). Der darauffolgende Teil beschäftigt sich mit der Zahl der Personen, die das Zweite Staatsexamen (erfolgreich) abgelegt haben (III.). Der letzte Teil fokussiert sich auf Angaben zur Zahl der Personen, die das Erste beziehungsweise Zweite Staatsexamen mit „vollbefriedigend“ oder besser abgeschlossen haben (IV.).

I.     Zahl der Studienanfänger*innen insgesamt und in der Rechtswissenschaft


Laut Statistik des Statistischen Bundesamtes zur Anzahl der Studienanfänger*innen in Deutschland (Stand: 30.07.2023) lag die Zahl der Studienanfänger*innen im Jahr 2001 bei etwa 292.560 Personen und stieg im Zeitraum von 2007 bis 2011 enorm an, teilweise sogar um rund 15% von 2010 auf 2011 auf 445.320 Studienanfänger*innen. Nach 2011 schwankten jedoch die Zahlen der jährlichen Studienanfänger*innen, wobei es ab 2019 zu einem deutlichen Einbruch der Zahl der Studienanfänger*innen kam. So schrumpfte die Zahl der Studienanfänger*innen von 2020 auf 2021 um rund 5,5% und lag 2021 nur noch bei etwa 395.850 Studienanfänger*innen. Für das Jahr 2022 stieg die Zahl jedoch wieder auf rund 398.240 Studienanfänger*innen an. Insgesamt lässt sich feststellen, dass, in Bezug auf die Studienanfänger*innen insgesamt in Deutschland, zwar deutlich mehr Menschen ein Studium aufnehmen als noch vor rund 20 Jahren, dass sich aber seit 2018 allmählich ein Rückgang der Zahlen abzeichnet. Die neueren Zahlen aus 2022 belegen zwar wieder einen leichten Anstieg, jedoch wird sich erst im Laufe der nächsten Jahre feststellen lassen, inwieweit sich darin ein Trend zeigt.

Richtet man den Blick spezifisch auf die Entwicklung der Zahl der Studienanfänger*innen in den Rechtswissenschaften, lag laut Angaben des Statistischen Bundesamtes die Zahl der Studienanfänger*innen in Jura 2001 bei knapp 12.250 Personen (ausschließlich Staatsexamensstudiengänge), was einem Anteil von rund 4,2% gemessen an der Gesamtzahl der Studienanfänger*innen 2001 entsprach. Ähnlich wie die Entwicklung der insgesamten Studienanfänger*innenzahlen verzeichnete auch die Rechtswissenschaft in dem Zeitraum von 2007 bis 2011 ein Wachstum um teilweise sogar knapp 14,5% von 2010 auf 2011 mit etwa 16.620 Studienanfänger*innen. Vergleichsweise lag auch bei der Gesamtzahl der Studienanfänger*innen in dem Zeitraum von 2010 bis 2011 ein großes Wachstum von rund 15,1% vor. Ab 2018 sank jedoch, ähnlich wie bei der Entwicklung der Gesamtzahl, die Zahl der Jurastudiumsanfänger*innen mit einem Rückgang um knapp 5,8% von 2020 auf 2021 mit einer Zahl von etwa 14.280 Studienanfänger*innen im Jahr 2021, was rund 3,6% gemessen an der Gesamtzahl der Studienanfänger*innen im Jahr 2021 entsprach, deren Wachstumsquote von 2020 auf 2021 ebenfalls bei einem ähnlichen Wert von knapp -5,5% lag. Im Gegensatz zu den Zahlen aller Studienanfänger*innen, stieg die Zahl der Juraanfänger*innen 2022 nicht wieder an, sondern sank weiter auf rund 13.700 Personen. Somit lag also auch spezifisch bei dem Jurastudium für den Zeitraum von 2001 bis 2021 ein insgesamtes Wachstum vor, gleichzeitig verzeichnete aber auch die Zahl der Jurastudiumsanfänger*innen einen kontinuierlichen Rückgang ab 2018, der sich sogar auch für die aktuellen Werte aus 2022 zu halten scheint.

Legt man nun die Entwicklungen der Studienanfänger*innenzahl insgesamt und in der Rechtswissenschaft nebeneinander, scheint der Rückgang an Studienanfänger*innen ab 2018 kein juraspezifisches Phänomen zu sein, sondern eher eine allgemeine Entwicklung, die Auswirkungen auf alle Studiengänge hat. Dabei schwankte der prozentuale Anteil der Studienanfänger*innen in Jura gemessen an der Gesamtzahl der Studienanfänger*innen in einem Bereich zwischen circa 3,5% und 4,2%.

Laut Prognose der Kultusministerkonferenz, die 2019 eine Statistik zur Vorausberechnung der Studienanfänger*innenzahlen für die Jahre 2019 bis 2030 herausgebracht hat, wird die Zahl der Studienanfänger*innen ab 2019 zwar sinken, aber, abgesehen von den Jahren 2025 und 2026, über der Grenze von 500.000 Studienanfänger*innen bleiben. Maßgeblicher Grund hierfür könnte womöglich der in Deutschland einsetzende demographische Wandel sein, der trotz weiterhin steigender Zahlen an Studienanfänger*innen unter den Schulabgänger*innen, zu einem Rückgang der Studienanfänger*innen führen könnte. Der demographische Wandel lässt sich auch anhand der Zahl der Studienberechtigten in Deutschland bemessen. So zeigt die Statistik des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bezüglich der Studienberechtigten in Deutschland von 1980 bis 2021, dass auch hier die Zahlen schon ab 2015 allmählich von rund 450.000 auf nur noch 394.100 im Jahr 2021 sanken und damit eine ähnliche Entwicklung wie die Zahl der Studienanfänger*innen verzeichneten.

Somit liegt nicht nur ein juraspezifischer Rückgang an Studienanfänger*innen in den letzten fünf Jahren vor, sondern auch ein allgemeiner Rückgang der Studienberechtigten und -anfänger*innen insgesamt.

 II.     Zahl der Personen, die das Erste Staatsexamen (erfolgreich) abgelegt haben


Nach der Statistik des BfJ zur Jurist*innenausbildung haben rund 15.450 Studierende 2001 das Erste Staatsexamen angetreten. Um dies in ein Verhältnis zu den Entwicklungen der insgesamten Bevölkerungszahl in Deutschland zu setzen, entspricht diese Zahl einem Anteil von rund 0,02% an der deutschen Gesamtbevölkerung. In den darauffolgenden Jahren sank die Zahl der Examenskandidat*innen kontinuierlich und belief sich im Jahr 2012 nur noch auf knapp 11.600 Personen, entsprechend einem Anteil von nur noch 0,014%. Ab 2016 erholte sich diese Entwicklung jedoch ein wenig und bewegte sich bis 2020 zwischen 0,016% und 0,017%. Für das darauffolgende Jahr 2021 ließ sich dann jedoch ein Einbruch der Zahl feststellen, da in diesem Jahr nur rund 12.140 Personen das Erste Staatsexamen angetreten haben, also knapp 1.900 Personen weniger als noch im Vorjahr, was nur noch einem Anteil von knapp 0,014% entsprach. Grund hierfür könnte die einsetzende Corona-Pandemie sein, aufgrund derer mehr Personen das Studium abgebrochen oder sich aufgrund der Freischussregelung zu den sogenannten „Corona-Semestern“ dazu entschieden haben könnten, das Examen später zu absolvieren. Hierbei handelt es sich aber um bloße Vermutungen, die bislang noch nicht belegbar sind.

Insgesamt sank somit die Zahl der Examenskandidat*innen zwar in den Jahren nach 2001 (abgesehen von einzelnen Ausnahmen in den Jahren 2006 und 2007), erholte sich aber ab 2012 wieder etwas. Unklar bleibt jedoch, wie sich die Entwicklung nach dem plötzlichen Einbruch 2021 fortsetzen wird. Wirft man aber einen kurzen Blick auf die teilweise von den einzelnen Justizprüfungsämtern der Länder bereits veröffentlichten Statistiken zu 2022, zeichnet sich womöglich eine Erholung der Zahl nach dem Einsturz 2021 ab. So haben in Bayern beispielsweise 2021 nur 2.797 Personen das Erste Staatsexamen angetreten, während es 2022 schon wieder 3.028 Personen waren. Eine ähnliche Entwicklung verzeichnet Nordrhein-Westfalen, wo die Zahl der Examenskandidat*innen ebenfalls wieder von 1.989 (2021) auf 2.452 (2022) angestiegen ist. Auch in Hessen lässt sich anhand der veröffentlichten Statistik des Justizprüfungsamtes ein erneuter Anstieg von 1.084 auf 1.143 Examenskandidat*innen für denselben Zeitraum verzeichnen.


Wirft man einen Blick auf die Anzahl der Personen, die laut BfJ das Erste Staatsexamen bestanden haben, lässt sich feststellen, dass 2001 immerhin knapp 11.140 Personen das Erste Staatsexamen mit mindestens vier Punkten bestanden haben, was rund 72,1% der Examenskandidat*innen entsprach, die in diesem Jahr bei dem Ersten Staatsexamen angetreten sind. Der Anteil bleibt in allen Folgejahren recht stabil zwischen 66 % und 76 %. Auch an dieser Stelle wäre jedoch ein Blick auf die bislang noch nicht veröffentlichte Statistik für 2022 durchaus interessant, um die neuste Entwicklung von 2021 weiter zu verfolgen.

Im Vergleich dieser beiden Erkenntnisse bezüglich der Anzahl der Personen, die bei dem Ersten Staatsexamen angetreten sind, und der Anzahl der Personen, die das Erste Examen auch erfolgreich abgelegt haben, lässt sich somit abschließend feststellen, dass beide Werte innerhalb der gegebenen Zeitspanne überwiegend stabil bleiben.

III.     Zahl der Personen, die das Zweite Staatsexamen (erfolgreich) abgelegt haben


Mit Blick auf das Zweite Staatsexamen lag die Zahl der Examenskandidat*innen im Jahr 2001 bei rund 12.590 Personen, was in etwa einem Anteil von 0,015% gemessen an der deutschen Gesamtbevölkerung entspricht. Dies war gleichzeitig auch der höchste Wert an Examenskandidat*innen aller bislang von dem BfJ veröffentlichten Jahre, also bis 2021. Nach 2001 sank die Zahl der Teilnehmenden, bis sie 2015 nur noch bei knapp 8.660 lag. Danach stieg die Zahl der Personen, die bei dem Zweiten Staatsexamen angetreten sind, wieder etwas an und lag 2021 bei etwa 9.580 Personen, entsprechend einem Anteil von rund 0,012%. Somit traten zwar durchaus weniger Personen ihr Zweites Staatsexamen an als noch 2001, die Entwicklung ist aber ab 2011 ungefähr gleichbleibend.


Die Zahl der Personen, die das Zweite Staatsexamen auch bestanden haben, lag 2001 bei knapp 10.700 Personen, was in etwa 85% des Gesamtanteils an Personen, die bei dem Zweite Staatsexamen angetreten sind, entsprach. Es zeichnete sich eine in etwa gleiche Entwicklung dieser Zahlen der erfolgreichen Examenskandidat*innen verglichen mit den Zahlen aller Examenskandidat*innen im Zweiten Staatsexamen ab (inklusive derer, die das Zweite Examen nicht bestanden haben). 2020 lag die Zahl der erfolgreichen Examenskandidat*innen bei rund 7.820, was in etwa 88,4% in Bezug auf die Gesamtzahl entsprach. Im darauffolgenden Jahr 2021 lag die Zahl bei knapp 8.420, was einem Wert von etwa 87,8% gemessen an der Gesamtzahl entsprach. Somit lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass zwar bei weitem nicht mehr so viele Jurastudierende bei dem Zweiten Staatsexamen angetreten sind wie noch 2001, aber dennoch der Anteil derer, die das Zweite Staatsexamen bestanden haben, im Vergleich zu den Personen, die bei dem Zweiten Staatsexamen bloß angetreten sind, über die Jahre hinweg gewachsen ist und seit 2012 über dem Wert von 2001, also über knapp 85% lag.

In Anbetracht dieser Zahlen in Bezug auf das Zweite Staatsexamen lohnt sich auch ein Blick auf die Entwicklung der Anzahl an eingestellten Rechtsreferendar*innen für den Zeitraum von 2001 bis 2021. Diese Daten werden ebenfalls zusammen mit den anderen Angaben jährlich von dem BfJ veröffentlicht. 2001 lag die Zahl der eingestellten Rechtsreferendar*innen bei ihrem Höhepunkt mit 10.240 eingestellten Rechtsreferendar*innen. Abgesehen von einzelnen Ausnahmen sank die Zahl der Rechtsreferendar*innen danach, bis sie 2014 und 2015 nur noch bei 6.737 Personen lag. In den darauffolgenden Jahren erholte sich die Zahl aber wieder und stieg kontinuierlich bis 2021 auf 7.809 Rechtsreferendar*innen an. Diese Entwicklung deckt sich in etwa auch mit der Entwicklung der Zahlen aus dem Ersten Staatsexamen, da auch dort die Zahlen bis 2016 sanken und sich danach wieder erholten (s. oben).  Jedoch ergibt sich leider aus den Angaben des BfJ nicht genau, wann und wie viele der Personen, die das Erste Staatsexamen abgeschlossen haben, wirklich auch in das Referendariat gegangen sind. Darüber hinaus lässt sich auch kein durchschnittlicher Maßstab festlegen, um diese Frage zu beantworten, da die Zeiträume zwischen Erstem und Zweitem Staatsexamen aufgrund von Wartezeiten, Dissertation, oder LL.M. häufig voneinander abweichen.

Mithin lässt sich in einem übergreifenden Vergleich der Zahlen zum Ersten und Zweiten Staatsexamen festhalten, dass die Zahlen der Kandidat*innen im Zweiten Examen beinahe kontinuierlich sanken, während die Zahlen der Kandidat*innen im Ersten Examen in dem gegebenen Zeitraum deutlich schwanken. Um diese Entwicklung zu verdeutlichen, lohnt sich ein Vergleich der Wachstumsquoten in beiden Examina ab 2015. So fällt bei einem Blick auf die Graphik auf, dass sich die Zahlen bezüglich der Examenskandidat*innen im Ersten und Zweiten Staatsexamen durchaus unterschiedlich und teilweise auch in entgegengesetzte Richtungen entwickeln.

IV.     Zahl der Personen, die das Erste/Zweite Staatsexamen mit „vollbefriedigend“ oder besser abschließen

Schließlich soll an dieser Stelle noch die Entwicklung der Qualität der Examina des Ersten und Zweiten Staatsexamens in den Blick genommen werden. Hierbei konzentrieren sich die Zahlen auf den Anteil der Examensschreibenden, die ihr Examen mit „vollbefriedigend“ (VB) oder besser abgeschlossen haben. Grundlage für diese Angaben sind auch wieder die Statistiken des BfJ, die Angaben zu den Notenbereichen der Examina enthalten.


In Bezug auf das Erste Staatsexamen lag der Anteil der Personen, die ihr Examen mit „vollbefriedigend“ oder besser abgeschlossen haben, im Jahr 2001 bei knapp 15% aller geprüften Kandidat*innen (inklusive derer, die das Examen nicht bestanden haben). In den darauffolgenden Jahren lässt sich ein kontinuierliches Wachstum, abgesehen von vereinzelten Ausnahmen, erkennen, das 2021 seinen Höhepunkt mit rund 20% erreichte, was bedeutet, dass in etwa jede*r fünfte Examenskandidat*in einen Abschluss mit „vollbefriedigend“ oder besser geschafft hat. Mithin lässt sich festhalten, dass ein immer größer werdender Teil der Examenskandidat*innen das Erste Staatsexamen mit „vollbefriedigend“ oder sogar besser abgeschlossen hat. Jedoch bleibt an dieser Stelle fraglich, ob sich die von den ausgewerteten Daten gezeigte positive Entwicklung auf eine gesteigerte Qualität der Examenskandidat*innen bezieht oder ob sich womöglich die Bewertung der Examensprüfungen verändert hat und die Examenskandidat*innen daher mit besseren Noten bestanden haben.


Mit Blick auf das Zweite Staatsexamen lag die Zahl der Personen, die ihr Examen mit „vollbefriedigend“ oder besser abgeschlossen haben, im Jahr 2001 bei etwa 15,2% aller geprüften Kandidat*innen. Ähnlich wie auch bei den Zahlen des Ersten Staatsexamens, lag auch bei den Zahlen des Zweiten Staatsexamens danach ein stetiges Wachstum vor, welches ebenfalls 2021 seinen Höhepunkt mit rund 21,3% erreichte.

Dies zeigt, dass immer mehr Examenskandidat*innen ihr Erstes beziehungsweise Zweites Staatsexamen mit „vollbefriedigend“ oder besser abgeschlossen haben.

V.     Lücken in der Datenerhebung

Im Laufe der empirischen Analyse der vorliegenden Daten fällt auf, dass die Angaben des Statistischen Bundesamtes und des BfJ aggregiert erhoben sind. Dabei fehlen in der Erhebung der Daten jegliche Angaben zu Migrationshintergrund, sozialer Klasse oder anderen marginalisierten Gruppen, die von Diskriminierung betroffen sind, beispielsweise Menschen mit Behinderungen oder LGBTQIA+.


Die von dem BfJ veröffentlichte Ausbildungsstatistik beinhaltet erst ab 2003 auch Daten zu dem Anteil der weiblichen Examenskandidatinnen. Im Jahr 2003 lag der Anteil an weiblichen Absolventinnen des Ersten Staatsexamens bei noch knapp 50%, während er bis 2021 auf knapp 58% angestiegen ist. Ähnlich lag auch der Anteil der weiblichen Absolventinnen des Zweiten Staatsexamens 2003 noch bei rund 48%, während er 2021 bei etwa 58% lag. In Bezug auf die Zahlen aus dem Zweiten Staatsexamen ist jedoch anzumerken, dass der prozentuale Anteil der Frauen unter den Absolvent*innen in den Jahren 2019 und 2020 leicht zurückgegangen ist und sich erst wieder 2021 erholt hat. Es bleibt daher abzuwarten, wie sich dieser abzeichnende Trend weiter entwickeln wird.

Jedoch bleiben mit der fehlenden Datenerhebung in Bezug auf andere marginalisierte Gruppen die möglichen Auswirkungen von Herkunft, sozialer Klasse, etc. auf das Jurastudium komplett außer Betracht, die jedoch in der Debatte um die Reform der Jurist*innenausbildung, insbesondere der Zugänglichkeit des Studiums, in vielerlei Hinsicht eine wichtige Rolle spielen sollten. Gerade durch die nicht vorhandene Erhebung dieser Angaben zu marginalisierten Gruppen fehlt die Möglichkeit einer empirischen und intersektional geführten Debatte, die aber, gerade wenn es um Reformen geht, unverzichtbar ist. Dabei wäre das Vorliegen solcher Daten äußerst hilfreich, um zu beobachten, inwiefern spezifische Gruppen leichter oder schwieriger durch das Studium kommen und welche Auswirkungen beispielsweise ein Migrationshintergrund auf den Abschluss und den Verlauf des Jurastudiums haben kann. Darüber hinaus wäre es auch interessant, diese Daten in den Arbeitsmarkt-Kontext zu setzen, um feststellen zu können, inwieweit marginalisierte Absolvent*innen des Jurastudiums Anschluss an den Arbeitsmarkt finden. Stattdessen bleiben durch die fehlenden Angaben marginalisierte Gruppen und deren Interessen unberücksichtigt und sind nicht Teil der bisherigen Debatte, die bislang noch von einer einzigen Perspektive aus geführt wird. Somit ist ohne diese Zahlen ein konstruktiver und inklusiver Diskurs über eine mögliche Reform des Jurastudiums, der die Interessen aller Jurastudierenden berücksichtigt, unmöglich. Daher wäre eine Erhebung von Daten zu Personen mit Migrationshintergrund, sozialer Herkunft oder anderer marginalisierter Gruppen wünschenswert.

VI.     Fazit

Zusammenfassend lässt sich durch die aufgeführte empirische Auswertung der Daten von BfJ und Statistischem Bundesamt eine Entwicklung für den Zeitraum von 2001 bis 2021 erkennen, aus der sich vier grundlegende Feststellungen für die informierte Diskussion der Reformfrage bezüglich des Jurastudiums ergeben:

Erstens ist der Rückgang der Anzahl der Studierenden kein juraspezifisches Phänomen, sondern lässt sich auch an der Entwicklung der allgemeinen Studierendenzahl und der Zahl der Studienberechtigten feststellen. Daher ist aus den vorliegenden Zahlen kein Rückschluss auf eine womöglich mangelnde Attraktivität des Jurastudiums erkenntlich.

Zweitens sank die Zahl der Kandidat*innen für das Erste Staatsexamen zwar zunächst, aber stieg danach ab 2016 wieder an und bewegt sich seitdem im Bereich zwischen 0,016% und 0,017% gemessen an der Gesamtbevölkerung. Obwohl die Zahl im Jahr 2021 wieder sank, ist es ohne die Daten der darauffolgenden Jahre noch nicht möglich, diese Entwicklung einzuordnen und zu bewerten, da unklar ist, ob diese Entwicklung bestehen bleibt oder nur eine Ausnahme darstellt. Dennoch war die Entwicklung der Zahlen der (erfolgreichen) Kandidat*innen im Ersten Examen übergreifend für den gesamten Zeitraum eher positiv, behält man im Hinterkopf, dass die Zahl der Jurastudierenden währenddessen kontinuierlich sank.

Drittens war die Entwicklung der Zahlen in Bezug auf das Zweite Staatsexamen ähnlich wie die Entwicklung der Zahlen im Ersten Staatsexamen, aber die Zahlen des Zweiten Staatsexamens erholten sich zunächst weniger stark nach dem Rückgang bis 2016, wobei sie in den letzten Jahren wieder anstiegen, während die Zahlen aus dem Ersten Examen weiter sanken. Dabei lag die erfolgreiche Abschlussquote im Zweiten Staatsexamen etwas höher, was bedeutet, dass zwar weniger Personen bei dem Zweiten Staatsexamen angetreten sind, aber der Anteil derer, die das Zweite Examen bestanden haben, gleichzeitig immer weiter gewachsen ist.

Viertens stieg unabhängig von den Entwicklungen bezüglich der Zahl der Personen, die das Erste oder Zweite Staatsexamen abgelegt haben, die Benotung der Examina immer weiter an, sodass inzwischen bei beiden Examina knapp jede*r fünfte Examenskandidat*in das Examen mit „vollbefriedigend“ oder besser abgeschlossen hat.

Es bleibt abschließend abzuwarten, inwiefern sich diese aufgezeigten Feststellungen für den Zeitraum von 2001 bis 2021 in den kommenden Jahren weiterentwickeln werden.

  1. https://www.lto.de/recht/justiz/j/justiz-nachwuchs-bewerberzahlen-richter-staatsanwalt-noch-genug-bewerber-umfrage-deutsche-richterzeitung-deutscher-richterbund (zuletzt aufgerufen am 28.09.2023); https://rsw.beck.de/driz/top-thema/2023/07/03/umfrage-der-richterzeitung–gute-bewerberlage–im-höheren-dienst (zuletzt aufgerufen am 28.09.2023).
  2. https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/interesse-an-justiz-stellen-weiterhin-groß (zuletzt aufgerufen am 28.09.2023).
  3. § 5 Abs. 1 DRiG bezeichnet das Erste und Zweite Staatsexamen als „erste Prüfung“ und „zweite Staatsprüfung“, wobei in diesem Beitrag die Bezeichnungen „Erstes und Zweites Staatsexamen“ verwendet werden.
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Universität Hamburg
Hamburg, Deutschland
Zitiervorschlag
Christopoulos, Aussterben des Nachwuchses an Richter*innen und Anwält*innen – Eine empirische Analyse, RECHTS|EMPIRIE, 16.10.2023, DOI: 10.25527/re.2023.17